Es muß nicht immer Kaviar sein
und Reuben Achazian in der Parkstraße zu Wiesbaden zum Arbeiten und Leben gemietet hatte:
»Ich weiß gar nicht, was ihr gegen Dunja habt. Sie ist charmant. Sie kocht für euch. Sie ist fleißig. Ich finde sie hinreißend.«
»Aber sie beansprucht dich zu sehr«, sagte Bastian. »Schau dir doch nur mal deine Finger an. Wie die zittern!«
»Quatsch«, sagte Thomas – ohne Überzeugung, denn ein wenig anstrengend fand er seine neue Freundin doch. Dunja wohnte in einem möblierten Zimmer in der Nähe, sie kam auch gar nicht jeden Abend, aber wenn sie kam –. In seinen wenigen freien Minuten gedachte Thomas oft des Obersten Melanin. Er konnte gut verstehen, daß der es nie zum General gebracht hatte!
In Wiesbaden nannte Thomas Lieven sich Ernst Heller – mit entsprechend falschen Papieren natürlich. Auf den Namen seines ausländischen Mitarbeiters hatte er die »Offene Handelsgesellschaft Achazian« gegründet. Dieses Unternehmen kaufte gewaltige Mengen der verschiedensten Güter auf und stapelte sie in den Lagern der ZVG vor der zerstörten Stadt.
Nicht nur früherer Besitz der Deutschen Wehrmacht lag in den riesigen Depots der ZVG , auch Jeeps, Trucks und Vorräte der amerikanischen Armee gab es da zu kaufen – Material, das veraltet war oder dessen Rücktransport nach Amerika zuviel gekostet hätte.
Thomas erklärte seinen Freunden: »Mit Amerika können wir keine Geschäfte machen, dazu haben wir alle eine zu dunkle Vergangenheit. Wir müssen uns schon an andere Länder halten, und zwar an kriegführende, denn diese dürfen bei der ZVG nicht kaufen. Das ist verboten.«
»Ich habe einen Herrn Aristoteles Pangalos als Vertreter griechischer Partisanen an der Hand und einen Herrn Ho Irawadi aus Indochina«, sagte Reuben Achazian.
»Aber ihr könnt den Kerlen doch keine Waffen verkaufen!« entsetzte sich Bastian.
Da hielt Thomas Lieven eine kleine Grundsatzrede: »Wenn
wir
ihnen keine Waffen verkaufen, werden es andere tun. Darum
werden
wir es tun – aber die Herren werden keine Freude an den Waffen haben.«
»Ich verstehe kein Wort.«
»Laß mich reden! Vor Mainz habe ich eine leere Fabrikhalle gemietet. Wir werden das Pulver aus der Munition herausholen und es durch Sägemehl ersetzen. Die Maschinenpistolen sind in Kisten mit bestimmten Brandschriftzeichen verpackt, vernagelt und plombiert. Ich habe eine Tischlerei gefunden, die uns genau dieselben Kisten mit genau derselben Brandschrift herstellen wird. Auch Plomben kann man nachmachen. Und Schmierseife wird den Kisten das rechte Gewicht geben …«
»Und was geschieht mit dem Pulver und den Maschinenpistolen?«
»Die Ware wird über Hamburg verschifft«, sagte Thomas. »Vor Hamburg ist das Wasser tief. Brauche ich noch weiterzusprechen?«
Dieser August 1947 (103. Lebensmittelkartenperiode) brachte Wiesbaden den absoluten Tiefpunkt der Versorgungslage. Die Kalorienzahl sank auf 800. Die Kartoffelnot wurde immer ärger. Nur noch Krankenhäuser und Lager erhielten Zuteilungen. An Nährmitteln standen fast ausschließlich die wegen ihres bitteren Geschmacks unbeliebten Maiserzeugnisse zur Verfügung. Die Fettbelieferung mußte von 200 auf 150 Gramm herabgesetzt werden. An Zucker wurde je ein halbes Pfund weißer und ein halbes Pfund gelber ausgegeben. Vier Eier zusätzlich gab es für den »wegen der großen Trockenheit denkbar schlechten Anfall von Obst und Gemüse«. Die Milchversorgung brach völlig zusammen. Zwei Drittel der Erwachsenen von Wiesbaden erhielten keine Zuteilungen mehr.
Merke: Ein fürchterlicher Krieg ist noch lange nicht zu Ende, wenn man ihn verloren hat …
11
Als erstes verkaufte die »Offene Handelsgesellschaft Achazian« den Herren Pangalos und Ho Irawadi je 2000 Kilogramm des Malariamittels Atebrin aus den Beständen der Deutschen Wehrmacht. Auf den Packungen gab es noch den deutschen Adler mit dem Hakenkreuz. Der mußte weg! Mit Lastern karrten Thomas und seine Partner das Atebrin in eine pharmazeutische Fabrik. Hier wurde es umgepackt. Nun konnte es verschifft werden.
Was beim Atebrin ein Kinderspiel war, erwies sich in einem anderen Fall zunächst als schier unlösbares Problem. Herr Pangalos und Herr Ho Irawadi wollten Tropenhelme kaufen. Jeweils 30 000 Stück.
Da
waren die Helme! Mit Hakenkreuzen darauf. So gut eingearbeitet, daß sie nicht zu entfernen waren. Unter solchen Umständen sahen sich die Herren natürlich gezwungen, von einem Kauf Abstand zu nehmen.
Was machen wir bloß mit den Sch…helmen,
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