Es muß nicht immer Kaviar sein
Geheimdienst auf Kosten dieser selbstsüchtigen, vaterlandslosen Gesellen sanieren.«
»Aber wie denn nur? Was brauchen Sie dazu?«
»Einen amerikanischen Diplomatenpaß, einen belgischen Paß und eine schnelle Reaktion des Herrn Finanzministers«, sagte Thomas Lieven bescheiden. Er sagte dies am Abend des 31. August 1939.
Am 10. September 1939 wurde durch Presse und Rundfunk folgende Verordnung bekanntgegeben:
PRESIDENCE DU CONSEIL
Décret prohibant ou réglementant en temps de guerre l’exportation des capitaux, les opérations de change et le commerce de l’or …
In der Übersetzung:
Dekret, das in Kriegszeiten die Ausfuhr von Kapitalien, alle Wechseltransaktionen (Devisenaustausch) und den Goldhandel verbietet oder reglementiert.
Artikel 1
Die Ausfuhr von Kapitalien ist – gleich welcher Form – untersagt, mit Ausnahme der Genehmigung des Finanzministers.
Artikel 2
Alle genehmigten Devisenoperationen müssen ausnahmslos über die Banque de France getätigt werden oder über ein anderes, durch den Finanzminister dazu berechtigtes Bankinstitut …
Es folgten weitere Bestimmungen über Gold und Devisen, zum Schluß die Androhung drakonischer Strafen für den Fall einer Übertretung dieser Verordnung.
Unterzeichnet war das Dekret von:
Albert Lebrun, Präsident
Edouard Daladier, Ministerpräsident
Paul Marchendeau, Siegelverwahrer
Georges Bonnet, Außenminister
Albert Sarraut, Innenminister
Paul Reynaud, Finanzminister
Fernand Gentin, Minister für Handel
Raymond Patenotre, Minister für Ökonomie
Georges Mandel, Minister für die Kolonien
Jules Julien, Minister für Post und Telefon
9
Mit dem fahrplanmäßigen Schnellzug, der um 8 Uhr 35 Paris verließ, fuhr am 12. September 1939 ein junger amerikanischer Diplomat nach Brüssel. Er war wie ein englischer Privatbankier gekleidet und trug einen großen schwarzen Schweinslederkoffer bei sich.
Die Kontrollen an der französisch-belgischen Grenze waren sehr streng. Die Beamten auf beiden Seiten identifizierten den soignierten jungen Herrn an Hand seines Diplomatenpasses, der sich wie eine Ziehharmonika öffnen ließ, als William S. Murphy, offiziellen Kurier der amerikanischen Botschaft in Paris. Sein Gepäck wurde nicht kontrolliert.
In Brüssel angekommen, stieg der amerikanische Kurier, der in Wirklichkeit Deutscher war und Thomas Lieven hieß, im »Hôtel Royal« ab. Bei der Rezeption legte er einen belgischen Paß vor, der auf den Namen Armand Deeken lautete.
Im Laufe des nächsten Tages kaufte Deeken alias Murphy alias Lieven für drei Millionen französische Franc in Brüssel Dollars ein. Die drei Millionen holte er aus dem schwarzen Schweinslederkoffer heraus, die Dollars legte er in diesen hinein.
Die drei Millionen Franc Grundkapital stammten aus Thomas Lievens eigener kleiner Bank. Er hatte sich gezwungen gesehen, sie dem »Deuxième Bureau« vorzuschießen …
Durch die politischen Ereignisse war der internationale Wert des Franc um zwanzig Prozent gefallen. In Frankreich versuchten Privatleute vor allem Dollars zu kaufen, in panischer Furcht vor einer weiteren Abwertung des Franc. Die Kurse für Dollars waren deshalb in wenigen Stunden in astronomische Höhen geschnellt.
Nicht so in Brüssel. Hier konnte man Dollars zu einem wesentlich billigeren Kurs erwerben, denn die Belgier waren von der französischen Kriegsangst nicht ergriffen. Sie glaubten fest: »Wir bleiben neutral; unter gar keinen Umständen überfallen uns die Deutschen noch einmal.«
Infolge der schnellen Entschließung der französischen Regierung, die Ausfuhr von Kapitalien zu verbieten, gab es im Ausland auch keine Überschwemmung mit Francs. Und darum behielt der Franc – genau wie Thomas erwartet hatte – trotz allem einen einigermaßen festen Wert. Dieser feste Wert war sozusagen die Achse der ganzen Operation …
Mit einem Koffer voller Dollars fuhr Thomas Lieven als William S. Murphy nach Paris zurück. Innerhalb weniger Stunden wurden ihm die kostbaren Devisen aus den Händen gerissen, und zwar von jenen reichen Leuten, die so schnell wie möglich ihr Vaterland im Stich lassen und ihre Vermögen in Sicherheit bringen wollten. Doppelt und dreifach ließ Thomas Lieven sie für ihre schnöde Denkart zahlen.
An seiner ersten Reise hatte er für sich selber 600 000 Franc verdient. Nun fuhr William S. Murphy mit fünf Millionen Franc im Kuriergepäck nach Brüssel zurück. Der Vorgang wiederholte sich. Die
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