Es muß nicht immer Kaviar sein
Verdienstspanne stieg. Eine Woche später pendelten vier Herren mit Diplomatenpässen zwischen Paris und Brüssel sowie zwischen Paris und Zürich. Sie führten Francs aus und Dollars ein. Zwei Wochen später waren es acht Herren.
Die Oberleitung der Aktion behielt Thomas Lieven. Durch seine Verbindung sorgte er dafür, daß es in Brüssel und Zürich genügend »Nachschub« gab. Das Unternehmen brachte nun schon Gewinne von Millionen Franc.
In die tristen Augen der französischen Geheimdienstoffiziere trat ein feuchter Hoffnungsschimmer, ein Ausdruck noch ungläubiger Dankbarkeit, als Thomas Lieven immer größere Beträge überwies. Zwischen dem 12. September 1939 und dem 10. Mai 1940, dem Tag des deutschen Überfalls auf Belgien, betrug Thomas Lievens Umsatz 80 Millionen Franc. Da er Spesen und Verdienstspanne mit insgesamt 10 Prozent berechnete und diesen Gewinn in Dollars anlegte, blieben ihm 27 730 Dollar. Pannen gab es keine, nur einen kleinen Zwischenfall …
Am 2. Januar 1940 kehrte Thomas Lieven, zum wievielten Male, wußte er selbst nicht mehr, mit dem Abendzug aus Brüssel nach Paris zurück. In Feignies, der Grenzstation, hielt der Zug länger als sonst. In leichter Unruhe wollte Thomas gerade nach dem Grund der Verzögerung forschen, als sich die Abteiltür öffnete und der Chef der französischen Grenzpolizei, ein großer Mann, den Thomas schon oft gesehen hatte, den Kopf hereinsteckte.
Er sprach sehr sachlich: »Monsieur, Sie sollten besser aussteigen, mit mir eine Flasche Wein trinken und den nächsten Zug nehmen.«
»Und warum sollte ich das wohl?«
»Dieser Zug wartet auf den amerikanischen Botschafter in Paris. Seine Exzellenz hatte in der Gegend einen leichten Autounfall, bei dem sein Wagen beschädigt wurde. Es ist das Nebenabteil für ihn reserviert worden. Er kommt in Begleitung von drei Herren aus der Botschaft … Sie sehen, Monsieur, Sie sollten wirklich lieber den nächsten Zug nehmen. Erlauben Sie, daß ich Ihren schweren Koffer trage …«
»Woher wußten Sie?« fragte Thomas Lieven fünf Minuten später. Der große Polizist winkte ab: »Sie werden uns doch jedesmal von Oberst Siméon avisiert und besonders ans Herz gelegt!«
Thomas öffnete seine Brieftasche. »Was darf ich Ihnen anbieten?«
»Ah nein, Monsieur! Das war ein Freundschaftsdienst! Dafür verlange ich nichts! Aber vielleicht … Wir sind hier sechzehn Mann, und in letzter Zeit gibt es kaum noch Kaffee und Zigaretten …«
»Das nächste Mal, wenn ich nach Brüssel fahre …«
»Moment, Monsieur, das ist nicht so einfach! Wir müssen achtgeben, daß die Bullen vom Zoll die Sachen nicht erwischen. Wenn Sie das nächste Mal kommen, aber nur wenn Sie den Nachtschnellzug benützen, dann stellen Sie sich bitte auf die Plattform des Erstklaßwagens. Die vordere Plattform. Halten Sie das Paket bereit. Einer meiner Leute wird aufspringen …«
So geschah es von nun an zwei- bis dreimal wöchentlich. In ganz Frankreich gab es keine so gut versorgte Grenzpolizeistation wie die in Feignies. »Kleine Leute, gute Leute«, sagte Thomas Lieven …
10
General Effel bot ihm einen Orden an, aber Thomas lehnte ab: »Ich bin überzeugter Zivilist, Herr General. Ich mag diese Sachen nicht.«
»Dann wünschen Sie sich etwas, Monsieur Lieven!«
»Wenn ich vielleicht eine gewisse Menge französischer Paßformulare haben könnte, Herr General. Und die entsprechenden Stempel. Es leben jetzt so viele Deutsche in Paris, die untertauchen müssen, wenn die Nazis kommen. Sie haben kein Geld, um zu fliehen. Ich möchte den armen Hunden gerne helfen.«
Einen Augenblick schwieg der General. Dann sagte er: »Auch wenn es schwerfällt, Monsieur, ich achte Ihren Wunsch und werde ihn erfüllen.«
Nun kamen viele Menschen zu Besuch in Thomas Lievens schöne Wohnung am Square du Bois de Boulogne. Er nahm kein Geld von ihnen. Sie erhielten die falschen Pässe umsonst. Voraussetzung war lediglich, daß sie von den Nazis tatsächlich Gefängnis oder Tod zu erwarten hatten.
Thomas nannte das »Konsulat spielen«. Er spielte gern Konsulat, er hatte den Reichen ein Vermögen abgenommen, nun half er den Armen ein wenig.
Im übrigen ließen sich die Deutschen Zeit. »Drôle de guerre« nannten die Franzosen diesen seltsamen Krieg.
Thomas Lieven reiste noch immer nach Brüssel und Zürich. Im März 1940 kam er einmal einen Tag früher als vorgesehen heim. Seit langem lebte Mimi nun schon bei ihm. Sie wußte immer genau die Stunde seiner
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