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Es: Roman

Es: Roman

Titel: Es: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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eine wahnsinnige Angst um das Kind. Der Junge sauste dahin, so als gäbe es kein Älterwerden und keinen Tod. Und irgendwie wirkte er in seinen Khakishorts und seinen abgetretenen Segeltuchschuhen, mit seinen nackten, schmutzigen Knöcheln und den wehenden Haaren tatsächlich unverletzbar und unsterblich.
    Pass auf, Kleiner, die Kurve schaffst du nie!, dachte Bill besorgt, aber der Junge schwenkte seine Hüfte nach links wie ein Tänzer und brauste mühelos um die Ecke und auf die Jackson Street, einfach davon ausgehend, dass ihm niemand in die Quere kommen würde. Junge, dachte Bill traurig, so wird es nicht immer sein.
    Er ging weiter zu seinem Elternhaus, blieb dort aber nicht stehen, sondern schlenderte nur ganz langsam daran vorbei. Auf dem Rasen waren Leute – eine Mutter mit einem Baby auf dem Arm saß in einem Gartenstuhl und beobachtete zwei Kinder, etwa zehn und acht Jahre alt, die ungeschickt im regennassen Gras Federball spielten. Das jüngere Kind, ein Junge, hatte es gerade geschafft, den Ball über das Netz zurückzuspielen, und die Mutter rief: »Gut gemacht, Sean!«
    Das Haus war immer noch dunkelgrün, und über der Tür war immer noch ein Oberlicht, aber die Blumenbeete seiner Mutter gab es nicht mehr, und auch das Klettergerüst, das sein Vater im Hinterhof aus alten Rohren gebaut hatte, war verschwunden. Bill fiel ein, wie Georgie eines Tages von diesem Klettergerüst gestürzt war und sich einen Zahn ausgeschlagen hatte. Wie er damals geschrien und geweint hatte!
    Als er all diese Dinge sah (jene, die da waren, und jene, die nicht mehr da waren), überlegte er kurz, ob er zu der Frau mit dem schlafenden Baby im Arm gehen und sagen sollte: Hallo, mein Name ist Bill Denbrough, und ich habe früher hier gewohnt. Und die Frau würde dann bestimmt sagen: Wie nett! Aber was weiter? Konnte er sie fragen, ob das Gesicht, das er kunstvoll in einen Dachbodenbalken eingeritzt hatte und auf das Georgie und er manchmal Dartpfeile geworfen hatten, noch da war? Oder konnte er sie fragen, ob ihre Kinder manchmal, in heißen Sommernächten, gern auf der überdachten hinteren Veranda schliefen und sich vor dem Einschlafen flüsternd unterhielten, während sie das Wetterleuchten am Horizont beobachteten? Vielleicht könnte er sie wirklich solche Dinge fragen, aber er wusste, dass er furchtbar stottern würde, wenn er versuchte, charmant zu sein … und außerdem war er sich nicht einmal sicher, ob er die Antworten überhaupt hören wollte. Nach Georgies Tod war dies ein kaltes Haus geworden, und zu welchem Zweck er auch immer nach Derry zurückgekommen war – hier würde er nichts finden.
    Deshalb ging er weiter und bog rechts ab, ohne sich noch einmal umzuschauen.
    Kurz danach befand er sich auf der Kansas Street, die ihn in die Innenstadt zurückführen würde. Er blieb eine Zeit lang am Zaun neben dem Gehweg stehen und sah in die Barrens hinab. Der Zaun war noch derselbe – morsches Holz mit abblätterndem weißen Anstrich -, und auch die Barrens sahen genauso aus wie früher... höchstens noch etwas wilder. Die einzigen Unterschiede, die er feststellen konnte, waren das Fehlen der schmutzigen Rauchwolke, die früher immer über der Müllhalde hing (sie war durch eine moderne Abfallverwertungsanlage ersetzt worden), sowie eine lange Brücke, die auf hohen Betonpfeilern quer über die Wildnis hinwegführte – die Autobahn. Alles Übrige sah noch so aus, als hätte er es zuletzt vor einem Jahr gesehen: dichtes Gestrüpp und wucherndes Unkraut auf dem Steilabhang, dahinter dann zur Linken das flache Sumpfgebiet, zur Rechten dichter Wald. Er konnte auch die silbrig-weißen, drei bis dreieinhalb Meter hohen bambusartigen Gewächse sehen. Ihm fiel ein, dass Richie einmal versucht hatte, dieses Zeug zu rauchen – er hatte behauptet, es wäre so ähnlich wie das Zeug, das Jazzmusiker rauchten, um high zu werden. Aber dann war ihm nur schlecht geworden.
    Bill hörte das leise Plätschern der vielen kleinen Bäche und sah den Widerschein der Sonne auf dem Kenduskeag. Und auch der Geruch war noch derselbe, obwohl die Müllhalde verschwunden war: Der intensive Geruch von Pflanzen inmitten des Frühlingswuchses konnte den Gestank nach Abfällen und Fäkalien nicht übertünchen. Er war schwach, aber doch unverkennbar. Ein Gestank nach Fäulnis; ein Hauch von etwas Abgründigem.
    Dort hat es damals geendet, und dort wird es auch diesmal enden, dachte Bill schaudernd. Hier … oder unter der Stadt.
    Er blieb noch eine

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