Es soll Liebe sein: Roman (German Edition)
auf das hintere von zwei kleinen Holzhäuschen, die am grünen Ufer des Sees kauerten. »Kommt rein und lasst mich euch beiden eine Tasse Tee kochen. Ich habe genug Becher.«
»O ja, bitte«, sagte ich. Es wurde frostig, und ich hatte diese Häuschen schon mein ganzes Leben lang einmal von innen sehen wollen.
Jonah und ich halfen Hazel hoch. Der Weinkrampf war wie ein Sturm vergangen. Sie und ich gingen langsam zu der Hütte, während Jonah vorausfuhr, um den Wagen abzu-stellen. Als wir ankamen, stand die Tür des Häuschens offen.
Darin standen ein kleiner Tisch, ein Bücherregal, ein sehr alter, weicher Lehnstuhl, eine Anschlagtafel und mehrere Hundert aufeinander gestapelte Stühle. Der verbliebene Raum war ziemlich eng. Jonah setzte Hazel in den Lehnstuhl und nahm für uns beide Stühle von einem Stapel. Der Kessel, den Betsy ihm geschenkt hatte, stand zischend auf dem Tisch. Jonah bereitete drei Becher köstlichen, rotbraunen Tee zu und öffnete eine Packung Schokoladenkekse.
»Das ist gemütlich«, sagte ich.
Jonah grinste. »Großartig, oder? Gib zu, dass du schon immer einmal hier hineinsehen wolltest.« Er hielt uns den Teller mit den Keksen hin. »Kommen Sie, Hazel. Sie haben noch keinen genommen.«
Zu meiner Überraschung nahm Hazel einen Keks und aß ihn. Sie brachte ein verschwommenes Lächeln zustande. »Danke«, sagte sie mit vollem Mund. »Sie sind sehr freundlich.«
»Ich sehe, dass Sie wirklich eine schwere Zeit durchmachen. Sie können darüber reden, wenn Sie möchten. Ich bin keiner dieser merkwürdigen Typen, die glauben, dass man nicht stirbt, wenn man nur genug Spinat isst.«
Das liest sich ein bisschen taktlos – aber Jonah sagte es mit solch echter Wärme, dass Hazel lachen musste. »Oh, Sie sagen es! Sie können sich nicht vorstellen, wie viele Leute mich nach Dads Lebensstil befragt haben – hat er geraucht? Hat er getrunken? Sie wollen, dass es sein Fehler war, damit sie nicht darüber nachdenken müssen, dass es auch ihnen passieren könnte.«
»Das ist Angst, sonst nichts«, sagte Jonah. »Aber Sie haben es angepackt. Ihre Augen haben den Tod angesehen.«
Hazel nickte. »Und jetzt, wo ich ihn gesehen habe, sehe ich ihn überall. Die Menschen erkennen es nicht. Das Leben ist so zerbrechlich.« Während sie den Keks mechanisch in ihren Tee tunkte, erzählte sie Jonah die Geschichte vom Tod ihres Vaters. Jonah hörte ernst zu und beugte sich mit auf die Knie gestützten Ellenbogen vor.
»Das Schlimmste ist«, sagte Hazel, »morgens aufzuwachen und – alles ist leer. Er entgleitet mir, als hätte es ihn nie gegeben.«
»Aber Sie werden seine Stimme hören«, sagte Jonah. »Sie werden sie hören, wenn Sie es am wenigsten erwarten. Es ist eine Frage zu wissen, wie man zuhören muss.«
»Was zuhören? Wo? Wie werde ich es wissen?«
Jonah rezitierte sehr sanft, fast im Plauderton:
» Deine Stimme schwebt auf der Luft,
ich höre dich, wo Wasser fließen,
ich seh’ dein Bild, wo Sonnenstrahlen sich ergießen,
und über der Abenddämmerung liegt dein Duft.
Was bist du nun? Ich wüsste es gern.
Mag sein, dass ich entrückt erscheine,
wenn ich dich überall zu spüren meine,
doch das ändert nichts an meiner Liebe Kern.
Denn meine Liebe enthält die Liebe davor,
meine Liebe ist Liebe pur,
umfasst jetzt auch Gott und Natur,
und diese Liebe ist stärker als je zuvor.
Du magst fern sein, aber mir bist du nah.
Ich habe dich noch immer, und ich jubiliere,
ich erblühe, weil ich deine Stimme niemals verliere.
Selbst wenn ich sterbe, bleibst du für mich immer da.«
Sie war wie gebannt, ihre feuchten Augen auf sein Gesicht geheftet. Mir fiel ein, dass Jonah einen Abschluss in englischer Literatur hatte. Er sprach die Worte wunderschön, absolut überzeugt. Ich hätte nie geglaubt, dass der alte Jonah Salmon so reizend und nett, sogar ritterlich sein konnte. Davon müsste ich Betsy erzählen. Allmählich verstand ich, warum sie so stolz auf ihn war. Wie hatte es Phoebe einmal gesagt? »Die meisten Mütter kümmert es nicht, ob ihre Söhne reich oder erfolgreich sind – sie wollen nur, dass sie zu gutherzigen Menschen heranwachsen.«
»Tennyson«, sagte Jonah. » In Memoriam. Der letzte Gruß vom Planet der Hinterbliebenen.« Er nahm eines der Bücher vom Regal. Es war eine Gesamtausgabe Tennysons – wie ich jetzt merkte, waren es alles Gedichtbände. Er reichte es Hazel. »Behalten Sie es, solange Sie möchten.«
Hazel lächelte. Sie murmelte: »Danke. Aber ich
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