Es sterben immer drei
Wie kann man eine so feine Tasche nur so verhunzen.«
»Wir lassen sie hier«, entschied Stella. »Sie gehört uns nicht und irgendjemand wird sie vermissen.«
Das war zwar richtig, trotzdem weckte die Entscheidung Irmas Widerspruchsgeist. »Bist du verrückt? Wir nehmen alles mit. Der Besitzer wird das Geld vielleicht suchen und die Polizei einschalten. Und wenn er es nicht tut, dann wahrscheinlich, weil er es nicht rechtmäßig erworben hat. Ich nehme mal an, dein hübscher Polizist wird das alles sehr interessant finden. Wir geben die Tasche bei ihm ab.« Sie zögerte unmerklich. »Und das Geld natürlich auch.«
Stella machte einen Kompromissvorschlag. »Ich rufe ihn an, er soll herkommen.« Irma knurrte missbilligend, sagte aber nichts und holte ihr eigenes Handy aus der Tasche, da sie hellseherisch wusste, dass dasjenige ihrer Tochter schön gemütlich am Aufladegerät neben dem Bett in der Casa Pornello lag. Stella fiel ein, dass Luca degradiert war. Irma fand das unwichtig. Wie in allen heiklen Situationen des Lebens musste man sich immer an die Person wenden, die man persönlich kannte. Das galt auchfür die Polizei. Von Luca wusste man wenigstens, dass er ihnen freundlich gesinnt war. Stella fragte sich, ob das überhaupt noch stimmte, wählte aber seine Nummer trotzdem. Irma hatte sie hellsichtig eingespeichert, aber natürlich befanden sie sich in einem Funkloch. »Wunderbar.« Irma nahm die türkisfarbene Kellybag. »Dann können wir uns ja in aller Ruhe überlegen, was wir damit machen.«
27
Der Rückweg zur Casa Pornello verlängerte sich erheblich, weil Stella darauf bestanden hatte, einem Trampelpfad zu folgen, der eine Abkürzung zu sein schien. Das Haus lag gegenüber auf einem Hügel, fast schon in Rufweite, nichts sprach dagegen, den direkten Weg zu nehmen statt der umständlichen Serpentinen, die sie gekommen waren. Das Gelände war gut zu übersehen, wischte sie die Bedenken ihrer Mutter beiseite, die allen Pfaden, die nicht auf Karten eingezeichnet sind, misstraute. Aber auch Irma lag viel daran, die 99 500 Euro aus der Gefahrenzone zu bringen, also überließ sie Stella ausnahmsweise die Führung.
Ein Killer mit Zielfernrohr hätte keine Probleme gehabt, sie dank der Knallfarbe der Tasche auch im dichtesten Waldgebiet im Visier zu behalten, er hätte sich nur sehr über den Weg gewundert, den sie nahmen. Nach knapp drei Stunden orientierungslosem Auf und Ab, die Wahl der Abkürzung hatten sie schon längst bereut, trafen sie endlich wieder auf die Forststraße, ungefähr 50 Meter hinter ihrem Ausgangspunkt, wie sich herausstellte, als sie ihn passierten. Sie waren die ganze Zeit im Kreis gelaufen, aber immerhin konnten sie trotz der beginnenden Dunkelheit problemlos das Dorf erreichen.
In der winzigen Bar Centrale angekommen, zwischen ausgestopften Fasanen und schweigenden Bauern, die winzige Rotweingläser in schwieligen Händen hielten, bestellte Stella sich einen Weißwein und eine große Flasche Wasser. Irma genehmigte sich einen vecchia romagna nach der Aufregung. Sie setzten sich zu den Männern auf den Plastikhockern vor der Tür und schwiegen erschöpft von dem langen Fußmarsch. Irma stopfte ihr eigenes ledernes Karstadt-Schnäppchen, an dem sie bis zu diesem Tag nichts auszusetzen hatte, in die größere Fundsache mit dem vielen Geld. Eine ältere deutsche Dame, unterwegs mit zwei Handtaschen, noch dazu eine in dieser unseriös schreienden Farbe, könnte den Argwohn der Einheimischen wecken, befürchtete sie. Gleichzeitig vertraute sie darauf, dass keiner der Bauern das modische Luxusteil als sein Eigentum wiedererkennen und zurückfordern würde. Tatsächlich, obwohl die Tasche aussah, als würde sie gleich aus allen Nähten platzen, nahm niemand Notiz davon.
Müde beobachtete Stella, wie auch der letzte Streifen Licht hinter der Friedhofskapelle verschwand. Sie überlegte, wie sie zurück zur Casa Pornello kommen könnten, die vier Kilometer zu laufen fühlte sie sich außerstande. Jetzt gab es zwar Empfang auf dem Handy, aber Luca ging nicht dran. Luis lag in Ottos Haus im Bett und konnte sich nicht rühren, und Otto selbst hatte offenbar Besseres zu tun, als einen Handyanruf von Stella zu beantworten. Innerlich sammelte sie schon alle Kräfte, um einen der Gäste in der Bar zu bitten, sie an der Casa Pornello abzusetzen, ein Vorhaben, das sie noch mehr Überwindung kostete als der Fußmarsch und das sie einzig Irma zuliebe zustande gebracht hätte, als plötzlich
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