Es sterben immer drei
Schwäche ihres Auftraggebers und den persönlichen Interessen eines Hauptverdächtigen ausbremsen lassen, statt ihren eigenen Überzeugungen gemäß zu handeln. Das war es doch, was erwachsene Menschen taten. Konsequent sein und sich nicht beirren lassen. Einerseits war das eine Ursache für Streit, Kampf und Krieg. Andererseits die Voraussetzung für Fortschritt, Wahrheit und Sieg. Einerseits glaubte sie fest an Jochens Verwicklung in den Mord an Valerie, andererseits hatte sich mit Orlando Cavallo eine Alternative ergeben, die auch fast zu schön schien, um wahr zu sein. Einerseits war es nicht wirklich ihre Aufgabe, aus den Verdächtigen den Täter herauszufiltern. Dafür waren Luca und seine Kollegen da. Sie traute ihnen das auch zu. Ehrlich. Andererseits gab es so viele unterschiedliche Interessen an dem Fall, dass die Wahrheit dazwischen leicht verloren gehen konnte.
Während sie auf der leeren Autobahn vor sich hinstarrte, nagte sie so verbissen auf ihrem eigenen osso duro herum, dass sie die erste Abzweigung Richtung Todi übersah. Sie nahm die zweite. Der Versuch der Doppelspitze aus Otto und Jochen, sie auszubremsen, hatte ihren Trotzkopf geweckt. Sollten ihr doch all die Kerle, die glaubten, über sie bestimmen zu können, den Buckel runterrutschen. Sie tat jetzt, was getan werden musste.
Dank moderner Navigationstechnik fand sie Cheyenne Hair & Nails in der Via San Fortunato, ohne sich radebrechend durchfragen zu müssen. In den engen Gassen einen Parkplatz für den dicken BMW zu finden, dauerte dagegen so lange, dass sie unter normalen Umständen schon aufgegeben hätte. Die Millimeterarbeit, um das Cabrio zwischen zwei Kleinwagen zu quetschen, bestärkte sie in der Erkenntnis, dass das Zeitalter der PS-Protzerei definitiv zu Ende ging und ein niedlicher Fiat 500 eine bedenkenswerte Anschaffung sein könnte. Gleichzeitig war ihr schmerzlich bewusst, dass ihr Kontostand bei null minus herumdümpelte; ohne Ottos Honoraranweisung würde sich die Situation noch erheblich verschlimmern. Sie streichelte der geliehenen Luxuskarosse zärtlich über den Kotflügel. Sie waren beide zum Aussterben verurteilt. Der Dinosaurier ebenso wie die sture, kleine Wühlmaus, die sich ungeschützt dem Unwetter, den tourbillons de la vie , aussetzen musste. Sie würden beide bestenfalls als Fossilien enden.
Cheyennes Hair- und Nailsalon entpuppte sich als halbambitionierter Verschönerungstempel, in dem die Spiegelwände hinter den schon etwas angegammelten weißen Ledersesseln mehr Platz vortäuschten, als tatsächlich vorhanden war. Einzig zwei Mitdreißigerinnen belebten das Interieur. Da sie sich offenbar als wandelnde Werbefläche ihres Unternehmens verstanden, trugen sie alles an sich, was die moderne Kosmetikindustrie an die Frau zu bringen versuchte. Dicke Make-up-Schichten, kunstvolle Farbschattierungen um die Augen, Lippenstift und schwarze Wimpern, die abstanden wie die gesträubten Borsten eines Stachelschweins.
Stella wandte sich an die Frau, die an der Kasse eine Liste mit Zahlen kontrollierte, obwohl nicht gleich erkenntlich war, ob sie durch den überlangen Pony ihres Pagenkopfs überhaupt etwas sehen konnte. Eindeutig die mit dem besseren Geschmack, wenn auch stylemäßig zur Gothicszene tendierend, wie ihr lila Lippenstift und die schwarzen Fingernägel andeuteten. Nichtgerade das, was man mit einem indianischen Vornamen assoziierte, aber auf solche Äußerlichkeiten war schon längst kein Verlass mehr in Zeiten, in denen adelige deutsche Politiker im Heavy-Metal-T-Shirt posierten. »Cheyenne?«, fragte Stella zaghaft, aus Angst, sich einem Hexenbannstrahl auszusetzen, weil sie mit der Frage die Addition durcheinanderbrachte. Aber die schwarze Dame hielt nur kurz inne, den Finger auf der letzten Zahl, die sie gerade in den Kalkulator tippte, schlug ihre Wimpernborsten nach oben und deutete ohne Worte auf die Kollegin, die vor einem Spiegel ihre blonde Palme auf dem Oberkopf sortierte. Dass es so was noch gibt, dachte Stella, oder hatte ohne ihr Wissen die aktuelle Mode nach Leggings und breiten Schultern auch die Frisurentgleisungen der 80er-Jahre reanimiert?
»Prego?«, fragte Cheyenne. Sie frönte einer Vorliebe für schreiende Pastellfarben. Ein Widerspruch, der nur Südländerinnen gelang. Schreiend Rosa, schreiend Türkis und schreiend Gelb. Die ganze Person quietschte. »Parlare inglese?«, fragte Stella in der Hoffnung, diese Recherchen einigermaßen würdevoll hinter sich bringen zu können.
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