Es sterben immer drei
wieder etwas zu essen, obwohl Stella sich beschwerte, dass diese Mästerei vielleicht bei Italienerinnen erst jenseits der Wechseljahre anschlagen würde, ihr als nordeuropäischer Mittdreißigerin ließ aber allein der Gedanke, jetzt schon wieder Kalorien zu fassen, den Speck wachsen. Er fand ihre Bedenken unnötig und begab sich in die Küche. Sie betrachtete mit einem gewissen Besitzerstolz vom Bett aus seinen durchtrainierten Hintern, während er am Herd stand. Hand an ihn zu legen, das hatte sie immerhin geschafft, obwohl Otto sie sicher nicht nach Umbrien geschickt hatte, um ihr Sexleben anzuheizen. Aber das Leben weigert sich manchmal sogar, nach Ottos Pfeife zu tanzen. Die Deutschen arbeiteten sowieso zu viel und hatten zu wenig Spaß. Die ganze Welt schuftete im Dienst der Renditemaximierung, und die Antreiber lachten sich vor ihren Kontoauszügen schlapp. Die Welt zu ihren Gunsten versklavt, und keiner merkte es. Da war es ein gutes Gefühl, sich wenigstens für einen Moment aus dem ganzen Wahnsinn auszuklinken und seiner eigenen, strikt persönlichen Jagd nachzugehen. Wenn die Beute dann aus einem erstklassigen Männerhintern bestand, hatte sie sich schon gelohnt.
»Woran denkst du?«, fragte Luca. Er schwenkte eine rauchende Pfanne. Stella stand vom Bett auf, nahm eine Küchenschürze mit der deutschen Aufschrift »Hier kocht der Chef«, die am Haken neben dem Geschirrschrank hing, und band sie ihm um. So sah er zwar aus wie das Opfer eines heimlich gedrehten Sexvideos, das zu Erpresserzwecken ins Internet gestellt wurde, aber wenigstens war er vorne herum vor heißen Fettspritzern geschützt. »Süß«, sagte sie. Er schüttete Sahne in die Pfanne, da blieb keine Zeit, auch noch mit ihr zu plaudern. Sie wollte ihn nicht ablenken und begab sich auf Tour durch die Wohnung.Wenn italienische Junggesellen es wirklich vorzogen, ihr Kinderzimmer bis zur Heirat zu okkupieren, statt sich den Abgründen des Alleinlebens auszusetzen, war Luca aus der Art geschlagen. Sie sah nirgends ein Anzeichen für ein weibliches Wesen in seinem Leben. Weder geschieden noch aktuell. Keine Tampons im Bad, keine Parfümflakons, Vasensammlung, Cremetöpfe, Diätbücher, Schmuckdepots, getrocknete Blumen, Sofakissen, Spitzengardinen oder ähnlich verräterische Spuren weiblichen Dekobedürfnisses. Unauffällig suchte sie die ganze Wohnung ab. Nichts. Eine kahle, leere Männerwohnung mit einem funktionalen Bett, einer funktionalen Küche und einem Bad ohne Firlefanz. Sie wanderte durch die drei Räume und dachte, dass Luca eine ähnlich unbehauste Seele war wie sie selbst. Nur dass sie bei ihrer Mutter lebte wie ein italienischer Junggeselle, zurückgekehrt in ihr Kinderzimmer, das sie nach dem Abitur so hoffnungsvoll verlassen hatte, um sich ihre eigene Welt zu bauen. Aber irgendwo war sie aus dem System der Geldvermehrung herausgefallen, und ihr optimistisch gezimmertes Zuhause war zusammengebrochen. Bei Irma bekam sie nun Gnadenbrot, wie ein ausgemustertes Rennpferd. Otto streckte ihr ab und zu ein Zuckerstückchen in Form eines Auftrags hin, mehr fiel nicht mehr ab. Sie hatte sich als nicht gewitzt genug erwiesen für den Wettkampf um Profit. Da lag Luca besser im Rennen. Ein Polizist besaß als Beamter staatstragende Relevanz. Damit gewann er zwar keine Silberpokale, aber immerhin war für ein sicheres Einkommen gesorgt. In Krisenzeiten schön beruhigend.
Sie betrachtete den Computer in seinem kleinen Arbeitszimmer und bedauerte, keinen handlichen, praktischen USB-Stick wie Luis mit sich zu tragen, weil sie am Tchibo-Stand die Ausgabe von 7, 99 Euro dafür gescheut hatte. Von draußen drang immer noch oder schon wieder ›La Traviata‹ durch das offene Fenster. Luca konnte zwar Raymond Chandler zitieren, aber sonst deutete nichts auf literarische Neugierde hin. Auf den drei Regalbrettern unter dem Fenster stapelten sich verstaubte Ausgabenvon ›Vogue Uomo‹. Sie glaubte nicht, dass es in Deutschland einen einzigen Polizisten gab, der freiwillig ein Modeheft anfasste, nicht mal, wenn es mit nackten Mädchen vollgestopft war. Italiener tickten auch in dieser Hinsicht anders. Ein einziges Buch fand sie dann doch noch. Sonderbarerweise eine deutsche Ausgabe von ›Kein Ort. Nirgends‹ von Christa Wolf aus den 80er-Jahren und schon etwas vergilbt von jahrelanger Missachtung hinter der Heizung. Sie las die Widmung. Forse durante il tuo soggiorno ti verrà ancora la voglia di essere conquistatore. Sandra. Das konnte sie leider
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