Es sterben immer drei
bereitwillig an Stellas Fersen. Sie versuchte, sich mit den Schaufensterauslagen als Orientierungshilfen wieder an den Weg zu erinnern. Ihre Wut war verraucht, sie konnte ihn sogar verstehen. Vielleicht wirst du misstrauisch, wenn du vom Leben herumgeschubst wirst wie ein alter Fußball. Aber auf Plaudern hatte sie auch keine Lust mehr. Die Sorge um Luis hielt ihre Gehirnzellen aktiv. Sie fand den Weg. Luca war zuhause. Er verstand nach dem ersten gestammelten Halbsatz, was los war, bezahlte den Taxifahrer, und schon standen sie wieder vor der Tür.
»Lady.« Der Taxifahrer hatte inzwischen wieder zu seinem alten, höflichen Selbst zurückgefunden und wollte die Anstandsformen gewahrt wissen. »Vielen Dank für den Auftrag. Und wenn Sie wieder einen zuverlässigen Taxifahrer brauchen, hier ist meine Telefonnummer.« Er hielt Stella seine Visitenkarte hin . »Der Krieg der Armen gegen die Reichen wird der blutigste sein, der je geführt wurde«, gab er ihr als letztes Marx-Zitat mit auf den Weg. Er reichte ihr die Hand und verbeugte sich galant wie ein Musketier. »Sie können mich jederzeit anrufen.«
»In Ordnung.« Stella hatte jetzt keine Zeit, sich mit ihm über die Definition von zuverlässig zu streiten. Sie steckte die Karte ein. Luca war schon fast in der nächsten Gasse verschwunden, sie musste rennen, um hinter ihm herzukommen.
16
Das blaue Blinken der Ambulanz leuchtete ihnen den Weg, als sie mit der Moto Guzzi um die letzte Kurve zu dem Parkplatz der Cantina Valle dei Cavalli bogen. Zwei Männer luden eine Tragbahre ins Auto. Luca bremste direkt daneben. Luis lag mit geschlossenen Augen unter einer Decke, so leichenblass, dass Stella sich vor Schreck an Luca festhalten musste. Er legte den Arm um sie und fragte einen der Männer, was passiert sei. So blöd könne nur ein deutscher Wanderer sein, wurde er informiert, sich zu verirren und dann auch noch abzustürzen. Wahrscheinlich habe sich der Dummkopf beide Beine gebrochen. Wenn der Jäger, der zufällig vorbeikam, ihn nicht gefunden hätte, würde er immer noch am selben Fleck vor sich hin leiden. Der Jäger hatte es allerdings eilig gehabt, deshalb konnte er nur den Pförtner der Cantina informieren, der dann auf eigene Verantwortung losging, um den Verletzten zu bergen. Er hatte auch die Ambulanz angerufen.
»Ein Jäger am helllichten Nachmittag?«, wunderte sich Luca.
»Ist er tot?« Stella traute sich nun doch, die Frage zu stellen, die sie im Moment am meisten beschäftigte.
»Nein, keine Sorge«, sagte der Sanitäter. »Er scheint von einem Felsen runtergefallen zu sein. Vielleicht auf den Kopf. Er wird durch den Schock ohnmächtig geworden sein.« Die Tür des Krankenwagens klappte zu. Ein paar Sekunden später raste die Ambulanz mit heulenden Sirenen vom Parkplatz und stieß dabei fast mit einem Polizeiwagen zusammen, der mit ebenfalls heulenden Sirenen einbog. Lucas Kollegen, von ihm verständigt und zu spät. Wenn man auf die warten müsste, wäre man verwest, dachte Stella. Luca wollte sich die Unfallstelle anschauen, aber Stella hatte keinen Bedarf an kriminalistischen Details. Das konnte warten. Die Sorge um Luis überwog. Sie wollte ins Krankenhaus. Wissen, was los war mit ihm. Da sein, wenn er aufwachte.Ein mürrischer, älterer Polizist wurde abkommandiert, sie ins Krankenhaus zu fahren. Mangels einer gemeinsamen Sprache redeten sie kein Wort miteinander. »Grazie«, war das Einzige, was Stella zustande brachte, als sie abgesetzt wurde. Selbst darauf erwiderte er nichts.
Als sie endlich mit einer Mischung aus Deutsch, Englisch, drei Brocken Italienisch und einer romanisch inspirierten Phantasiesprache herausgefunden hatte, wo sich die Notaufnahme befand, wurde Luis noch verarztet. Eine Stunde später durfte sie dann endlich an sein Bett, misstrauisch überwacht von einer Krankenschwester. Er schlief und hing an Apparaturen, die leise vor sich hin piepsten. Irgendwie beruhigend und beunruhigend zugleich. Man hatte ihm den Kopf verbunden, ein Bein eingegipst und an einen Bettgalgen gehängt, aber immerhin nicht das andere auch noch. Vielleicht war doch nur eines gebrochen. Die Krankenschwester zog Stella wortlos am Arm wieder aus dem Zimmer und schloss die Tür.
Wie in deutschen Krankenhäusern auch, war kein Arzt zu sehen, wenn man einen brauchte. Jetzt wäre Luca von großem Nutzen gewesen. Sie traute ihm zu, in dieser Situation traumwandlerisch sicher zu handeln. Er hatte sich als unverzichtbar in ihr Leben geschoben. Ratlos
Weitere Kostenlose Bücher