Es sterben immer drei
setzte sie sich auf einen Plastikstuhl, der verlassen in dem Gang herumstand. Was tun? An seiner Wohnung warten, bis er eventuell mal wieder nach Hause kam? Aber zurück zu Ottos Haus und Irma zu fahren, ging ohne einen Cent für ein Taxi auch nicht. Von einem misstrauischen Stammeskrieger auf offener Strecke ausgesetzt zu werden, wollte sie nicht noch mal riskieren. Und was, wenn Irma nicht zuhause war, um sie auszulösen?
Ein Mann ging mit zwei Pappbechern voll dampfendem Kaffee an ihr vorüber. Einen davon hätte sie jetzt auch gern gehabt, als Hilfe bei der Entscheidung, was als Nächstes zu tun war. Sie kramte in ihrer Tasche und fand immerhin am Boden, zwischen alten Quittungen, zerknitterten BOB-Tickets und zerbröseltenPfefferminzbonbons ein paar einzelne Münzen und rannte hinter dem Mann her. Er zeigte ihr das Schild mit dem Pfeil und der Aufschrift Bar und tatsächlich, zwei Ecken weiter stand sie vor jener Ansammlung von Bistrotischen mit Stühlen, die deutsche Kliniken unter der Bezeichnung »Cafeteria« verschandelten. An einem Tisch saß ein Mann, der einen Tropf am Ständer mit sich herumführte und mit hastigen Lungenzügen rauchte, trotz der kleinen runden Schilder mit durchgestrichenen Zigaretten, die überall an den Wänden klebten.
An einem anderen Tisch rührte Renate mit einem Holzspachtel in einem Pappbecher. Renate, Lehrerin, Miteigentümerin der Casa Pornello und Ehefrau eines Hausarztes. Sie hatte sich eng in ihre Strickjacke eingewickelt, als ob ihr kalt sei, dabei war die Luft eher muffig warm, und betrachtete die Fotos in einer italienischen Modezeitschrift. Stella vergaß ihre übliche Scheu beim Anblick von Menschen, die sie nur oberflächlich kannte, so erleichtert war sie über Renates Anwesenheit. Die Lösung für eines ihrer wichtigsten Probleme. Wo Renate war, ging es auch zurück in bekannte Gefilde. »Grüß dich«, sagte Stella und hielt sich nicht damit auf, am Tresen einen Kaffee zu holen. Der konnte warten, erst musste die Rückfahrmöglichkeit unter Dach und Fach gebracht werden.
Renate schaute verwirrt von ihrer Zeitschrift hoch. »Was machst du denn hier?«
Stella erzählte ihre Geschichte und erfuhr, dass Renate auf Katharina wartete. Die krebskranke Katharina, die ihre wöchentlichen Medikamente bekam und verständlicherweise nicht allein ins Krankenhaus fahren wollte. Und ja klar konnte Stella mitfahren zur Casa Pornello. Sie waren zwar im Alfa Spider unterwegs, auf der Rückbank würde es eng und zugig werden, aber das würde schon gehen. Nachdem der Rückweg geklärt war, holte Stella sich einen Cappuccino, der auch nicht besser schmeckte als ein Maschinenkaffee in deutschen Redaktionen.
Ein paar Minuten später zelebrierte Katharina ihren Auftritt.In einem wild mit bunten Spiralen gemusterten, bodenlangen Hippiekleid wischte sie das Krankenhauslinoleum und mit einem Turban voller Klatschmohn frischte sie die öde Cafeteria auf. Todkrank sah anders aus. »Alles wie immer. Weder gut noch schlecht«, verkündete sie. »Ich sehe das jetzt mal als positive Nachricht. Es hätte auch schlechter geworden sein können.« Sie lachte, und Stella fragte sich, ob man sich auch mit dem Gedanken an den Tod anfreunden konnte.
Als Katharina von Luis’ Unfall erfuhr, ließ sie alles stehen und liegen, stürmte mit Renate und Stella im Schlepptau durch Korridore und Treppen rauf und runter, riss irgendwann nach einem kurzen herrischen Klopfen eine Tür auf und überfiel den Mann im Arztkittel, der gerade ein paar Röntgenaufnahmen an der Wand studierte, mit einem Schwall italienischer Worte, von denen Stella nur den Namen Luis Leblanc verstand.
Nach zwei Telefonaten hatte der Arzt herausgefunden, dass die Kollegen bei Luis ein mittelschweres Schädel-Hirn-Trauma diagnostiziert hatten, gebrochene Rippen, ein gebrochenes Bein und dass er dank einer Spritze bis zum nächsten Morgen schlafen würde. Die Lage war ernst, aber unter Kontrolle, und die Kollegen waren optimistisch, dass er bald wieder auf die Beine kommen würde. Stella könne jetzt überhaupt nichts mehr tun. Morgen solle sie wiederkommen und sich an den Kollegen Valentino wenden, wo, nebenbei gesagt, Signore Leblanc in allerbesten Händen sei. Der Arzt notierte Namen und Telefonnummer, und Stella hätte ihn aus Dankbarkeit fast umarmt und abgeküsst. Vielleicht schotteten Ärzte sich in ihren kühlen, weißen Kitteln ab, damit niemand genau das wagte. Als sie das Krankenhaus verließen, war es draußen schon
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