Es sterben immer drei
Renate suchte sie immer misstrauisch nach dem Sprung in der Schüssel. Konnte es sein, dass sie wirklich so zufrieden waren wie sie wirkten? Das Leben eingerichtet wie ein kuscheliges Reihenhaus mit Garten. Alle sechs Jahre wurde das Sofa erneuert, weil das alte schon schmuddelig wurde. In der Küche liefen die Schubladen lautlos und geschmeidig in ihren Schienen, und an Weihnachten gab es Fondue. Die Kinder räumten ihre Zimmer auf und brachten immer ordentliche Noten nach Hause, später studierten sie oder machten eine Banklehre, was ihre Eltern mit Stolz erfüllte. Nichts konnte diese sorgfältig aus soliden Steinen gebauten Leben erschüttern. Wie im Märchen. Und sie lebten glücklich und zufrieden bis ans Ende ihrer Tage.
»Sie hat alles richtig gemacht«, sagte Katharina. »Im Nachhinein muss sogar ich das zugeben.« Offensichtlich hatte sie sich darauf besonnen, doch keinen Streit anzufangen. »Ich dagegen«, begann sie die Ausführungen über ihr Lieblingsthema, »ich habe nichts geplant, nur in den Tag hinein geliebt, gemaltund gevögelt, mich mit Männern gestritten, und dachte lange, das ist das Glück. Und was habe ich davon?« Sie lachte wie über einen schlechten Witz. »Krebs. Und einen Mann, der mich als Klotz am Bein empfindet. Der mich loswerden will. Sogar jetzt noch, obwohl ihm der Grund, mich zu verlassen, ja bekanntlich abhanden gekommen ist.«
»Aber du hast doch uns«, sagte Renate, legte fürsorglich die Hand auf die rechte von Katharina und versicherte ihr, wie sehr sie und Andreas ihre alte Freundin liebten und dass sie selbstverständlich immer für sie da seien. »Du brauchst keine Angst zu haben.«
Katharina schaute Renate an, als müsste sie erst noch überlegen, wie sie auf dieses Angebot reagieren sollte. Es abweisen oder annehmen. Sie entschied sich für die wohlwollende Variante. »Ich danke dir«, sagte sie und legte ihre linke Hand auf Renates rechte Hand, die auf Katharinas rechter lag. Wie im Kinderspiel wartet Stella darauf, wer seine Hand zuerst wegzog und den ganzen Turm zum Einstürzen brachte. Es war Renate, offensichtlich irritiert von Katharinas ungewohnt offen gezeigter Zuneigung.
Freundinnen, dachte Stella. In einem Moment lieben sie sich, im nächsten zicken sie sich an. Immer die gleiche Gefühlslage wäre wahrscheinlich unerträglich langweilig. Da könnte man sich gleich ein Meerschweinchen halten.
Auf der kleinen Bühne am Kopfende des Kellers begannen ein paar junge Männer mit Hosenböden in Kniekehlenhöhe und bunten Strickmützen Musikinstrumente aufzubauen. Der Keller war jetzt voll, was sich sehr vorteilhaft auf die Innendekoration auswirkte. Man sah sie nicht mehr. Und wieder einmal war Stella froh über das Rauchverbot, es erlaubte inmitten der lärmenden Menschenmenge das Atmen, ohne dass man sich über dem Abzug der Hölle wähnte. Sie beobachtete, wie Kleemanns Bekannter, der dickliche Unternehmersohn Cavallo, den Keller betrat, sich kurz umblickte und mit einer schlaffen Handbewegungdrei dubiose Muskelpakete anwies, das einzige Sofa im Raum von eingeschüchterten jungen Leuten zu befreien, um selbst Platz nehmen zu können. Eine gut genährte Landpomeranze im zu engen Goldlamékleid ließ sich stolz neben ihn ins Polster fallen.
»Ich war sechsmal schwanger, könnt ihr euch das vorstellen?« Katharina folgte ihren eigenen Gedankensprüngen, ohne sich darum zu kümmern, ob ihre Zuhörer ihr noch folgten. »Zuletzt mit 44. Sechs Fehlgeburten in 20 Jahren. Es ist mir nie gelungen, ein Kind auszutragen. Als ob da oben jemand beschlossen hätte, mich zu bestrafen. Jochen finanzierte alle Mittel und Methoden, die von der Medizin im Laufe der Jahre entwickelt wurden, er wollte mich um jeden Preis trächtig kriegen.« Sie schüttelte den Kopf, als könnte sie immer noch nicht fassen, was da mit ihr passiert war. »Und dann war meine Zeit vorbei. Ich dachte, er hat sich damit abgefunden. Dann kam Valerie. Er konnte das ganze Spiel von vorn beginnen. Ich nicht. Ist das nicht ungerecht?«
Renate und Stella nickten abgelenkt, beide fasziniert von Cavallo junior, der geistesabwesend den Busen seiner Begleiterin knetete, während er mit der anderen Hand auf seinem Handy herumtippte. Völlig unbeeindruckt zog sie ebenfalls ein Handy aus ihrer Handtasche und hielt es ans Ohr.
Katharina ging völlig in ihrer Innenschau auf, sie bemerkte nichts. »Aber ich will mich nicht beklagen.« Sie lachte, wenn auch nicht gerade mit viel Freude. »Schaut euch Jochen an.
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