Es sterben immer drei
Gedanke gefiel ihr trotzdem.
Es war inzwischen fast Mitternacht, sehr spät für ein Abendessen. Alle gähnten, außer Irma, aber keiner vergaß die Nudeln zu loben. Außer Irma. Sie mochte es nicht, wenn ihre Tochter die Komplimente einheimste, die unter normalen Umständen ihr zustanden. Kochen war nun mal ihre Domäne. Nach seinem Lob verstummte Luca. Er blieb wortkarg, während die vier Frauen die Ereignisse des Tages hin und her wälzten, und beteiligte sich auch nicht an Spekulationen, wie das alles zusammenhing. Der Überfall auf Irma und Luis’ mysteriöser Unfall, ausgerechnet in der Nähe der Olivenölfabrik des mächtigen Herrn Cavallo. Irma, die große Stücke auf Luis hielt, konnte nicht glauben, dass er beim Wandern abgestürzt war, als Schweizer und Himalayakenner war er den Tücken weit höherer Berge als der Hügel des Apennin mehr als gewachsen. Er wusste, wie man sich in steilem Gelände verhielt und würde ganz sicher nicht wie ein holländischer Tourist einfach über einen Felsen in die Tiefe fallen. Katharina widersprach. Das Gefährliche dieser Gegend war, dass Wanderer sie unterschätzten. Auch jemand wie Luis, der sich seit seiner Kindheit nur im Hochgebirge bewegte. Stella mischte sich nicht in die Debatte ein, stimmte aber ihrer Mutterzu. Luis hatte sich weder zufällig an der Olivenölfabrik aufgehalten, noch war er beim Wandern verunglückt. Nicht in der Nähe eines Gewerbegebiets. Es gab einen Zusammenhang, den nur Luis kannte und den er hoffentlich aufklären konnte, wenn er aufwachte. Sie nahm an, der Unfall hing mit seinem Hang zu Alleingängen zusammen. »Ihr müsst Luis bewachen«, fiel ihr plötzlich ein und sie wurde ganz aufgeregt. »Wenn jemand ihn töten wollte, könnte er das im Krankenhaus vielleicht noch mal versuchen.« Luca nickte beruhigend. Ein Kollege passte auf. Stella hoffte, nicht mit dem gleichen Desinteresse wie die Spurenermittler, behielt ihre Zweifel aber für sich. »Also glaubt die Polizei auch an ein Verbrechen der Mafia?«, fragte Renate neugierig, aber Luca wollte sich dazu nicht äußern, mit Rücksicht auf die laufenden Ermittlungen. Stella beobachtete ihn, wie er alle anderen am Tisch beobachtete, und stellte fest, dass auch Renate und Katharina ihn fest im Blick hatten. Als könnten sie aus seinen Gesten und seiner Mimik herauslesen, was er wirklich dachte. Wie in einer Runde Zocker. Aber aus Luca ließ sich nichts herauslesen. Auch er hatte sein Pokerface aufgesetzt.
Stella konnte ein nochmaliges Gähnen nicht unterdrücken, was Katharina und Renate als Zeichen zum Aufbruch interpretierten. Es war ja auch schon spät. Sie begleitete die beiden zum Alfa und schaute ihnen hinterher. Welche Geheimnisse trugen die beiden mit sich herum? Jeweils ihre eigenen oder auch gemeinsame?
»Was denkst du?«, fragte Luca, der von hinten an sie herantrat, sie umarmte und leicht auf den Hals küsste, rechts neben der Wirbelsäule, da, wo sie es besonders gern hatte. Die Streitigkeiten vom Nachmittag hatte er offensichtlich ad acta gelegt, also tat Stella es auch. Nachtragend zu sein war keine ihrer ausgeprägten Charaktereigenschaften.
»Kinder, ich gehe ins Bett«, rief Irma vom Hauseingang her. »Ich bin todmüde.« Eine Sekunde später konnte man sie die hellerleuchtete Treppe hochsteigen sehen.
»Ich glaube, ich habe eine Idee, was wir jetzt machen könnten«, sagte Stella, drehte sich zu Luca um und knabberte ganz zart an seiner Oberlippe. Plötzlich war sie wieder hellwach.
Aber er löste ihre Hände von seinen Schultern und schaute haarscharf an ihren Augen vorbei. »Bella«, sagte er und senkte den Blick, als würde er sich schämen. »Es war ein langer Tag und morgen früh um acht habe ich ein Meeting mit meinen Chefs. Ich bin nur gekommen, weil ich dich etwas fragen wollte, was ich schon seit Tagen immer wieder vergesse.«
Sie sah ihm mit klopfendem Herzen zu, wie er auf dem Rücksitz seines Autos herumsuchte.
Er ging mit einem braunen Briefumschlag in der Hand zurück ins Haus und setzte sich an denselben Küchentisch, den sie vor ein paar Minuten verlassen hatten. »Ich wollte nicht, dass die anderen davon etwas erfahren«, sagte er und gab ihr zwei Blatt Papier. Ein Text in Maschinenschrift, der sehr offiziell aussah, mit Briefkopf der Carabinieri. Und die Abbildung eines Gegenstandes, der aussah, als ob ein Karikaturist einen Hundeknochen skizziert hätte. Ein schmaleres Mittelstück mit verdickten Enden an beiden Seiten, ähnlich der Schleife,
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