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Es war einmal ein Mord: Ein Hänsel und Gretel-Krimi (German Edition)

Es war einmal ein Mord: Ein Hänsel und Gretel-Krimi (German Edition)

Titel: Es war einmal ein Mord: Ein Hänsel und Gretel-Krimi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. J. Brackston
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zur Straße nach Gesternstadt.« Er schubste Gretel und Bruder hinaus in die finstere Nacht. »Nicht trödeln. Und seid leise. Keinen Mucks! Die haben sehr gute Ohren. Wenn ihr erst über den Holzzaun geklettert und am Wald seid, habt ihr es geschafft.«
    Irgendetwas kam Gretel seltsam vor. »Was soll das heißen, ›die haben sehr gute Ohren‹? Die meisten Leute reagieren hier doch nur auf Gebrüll und Geheul.«
    Der Wachmann murmelte sich etwas in den Bart und wich zurück in den Gang.
    Gretel packte seinen Arm.
    »Wenn du nächste Woche die andere Hälfte deiner Bezahlung einfordern willst, dann sagst du mir jetzt, wer sehr gute Ohren hat.«
    »Die Löwen.«
    Bruder fing an zu schluchzen.
    Gretel rang um Fassung.
    »Löwen? Was haben hier Löwen herumzustreifen?«
    »Ja, ich hab in Bayern auch noch keine freilaufenden Löwen gesehen. Die hier sind aus des Königs Menagerie. Sie bewachen das Schloss bei Nacht. Viel besser als Hunde. Und sie hinterlassen keine Abfälle, wenn sie einen Eindringling erwischen.«
    Bauer Bruder griff nach dem dünnsten aller Strohhalme.
    »Aber wir sind keine Eindringlinge! Wir brechen nicht ein«, klagte er. »Wir brechen aus!«
    »Ich fürchte, die genauen Einzelheiten unserer Zwangslage werden eine Meute hungriger Löwen nicht sonderlich interessieren«, sagte Gretel.
    »Rudel«, sagte der Wachmann. »Das ist ein Rudel Löwen, keine Meute.«
    Gretel beschloss, sich etwas angemessen Fürchterliches zu überlegen, was sie dem Wachmann antun konnte, wenn sie sich das nächste Mal begegneten, sollte es ihr gelingen, aus dem Kerker zu entkommen, den Truppen des Königs auszuweichen, den Löwen zu entgehen, über den Zaun zu klettern und aus dem verdammten Wald herauszukommen. Jetzt aber war nicht der richtige Zeitpunkt, die Nerven zu verlieren.
    »Also komm, Bruder«, sagte sie und ging in westliche Richtung voran. »Beeil dich, sei leise, und versuch um Himmels willen, dir nicht schon wieder in die Hose zu machen. Löwen können vermutlich genauso gut riechen, wie sie hören können.«
    Der Vollmond spendete ausreichend Licht, dass sie sich einen Weg an der äußeren Mauer des Schlosses entlangbahnen konnten. Gretel, die voraneilte, ignorierte tapfer ihre schmerzenden Füße und versuchte, sich keine spitzen Zähne vorzustellen, die in der Dunkelheit auf sie lauerten. Bruder konnte nicht mithalten und fiel regelmäßig außer Sichtweite hinter ihr zurück, doch Gretel wagte nicht, ihn anzutreiben, weil sie fürchtete, auf diese Weise unerwünschte Aufmerksamkeit zu erregen.
    Nachdem sie ein gefühltes Zeitalter über den feuchten Boden gekraxelt waren, gelangten sie zu dem Postenhäuschen am Westtor. Ein rhythmisches Rumpeln aus dem Innern verriet, dass der Wachmann hinsichtlich der Hingabe seines Kollegen an seine Aufgabe richtiggelegen hatte. Ungeduldig winkte Gretel dem Bauern zu und hastete zum Zaun. Er konnte nur ein paar Hundert Meter entfernt sein, doch der Weg schien weit und ungeschützt zu sein, und sie kam sich entsetzlich ausgeliefert vor.
    Gretel hatte gut die Hälfte des Weges geschafft, als sie ein leises Schnarren aus der Schwärze außerhalb ihres Blickfelds hörte. Sie blinzelte in die Finsternis. Das wiederum gab Bauer Bruder Gelegenheit, zu ihr aufzuschließen, wobei er prompt in sie hineinlief.
    »Warum haben wir angehalten?«, flüsterte er.
    »Ich hab was gehört«, zischte Gretel ihm zu. »Da drüben ist irgendwas.«
    Die beiden Flüchtlinge erstarrten. Sie standen da, als wären aus ihren Füßen Wurzeln hervorgesprossen und hätten sich tief in die fruchtbare bayrische Erde gegraben. Gretel spürte, wie der Schweiß, der nicht etwa eine Folge von Erschöpfung oder Hitze war, sondern von Furcht, ihre Achselhöhlen nässte.Das leise Schnarren wurde lauter, und obwohl es ihr zunehmend schwerfiel, zusammenhängend zu denken, hörte es sich für sie sehr nach den Lauten an, die ein großes Tier erzeugen mochte, wenn die Atemluft an seinen gigantischen Kieferknochen vorbei zwischen dolchlangen Zähnen hindurchrauschte. Plötzlich flackerte in ihrem Gedächtnis die Erinnerung an einen Schulausflug zum Verstädter Zoo auf und bestätigte ihr, dass sie sich in der Tat in Spuckweite zu einem Löwen befand. Mit einem Schrei, der noch der wildesten Todesfee zur Ehre gereicht hätte, rannte sie in Richtung Zaun. Bruder, dem die Angst offenbar Flügel verlieh, blieb ihr zur Abwechslung dicht auf den Fersen. Aber auch dieser beeindruckende Anstieg der Geschwindigkeit konnte

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