Es war einmal ein Mord: Ein Hänsel und Gretel-Krimi (German Edition)
Ruhe zu bewahren und die Zeit sinnvoll zu nutzen, konzentrierte Gretel sich in Gedanken auf den Fall der vermissten Katzen. Die Fakten waren kärglich, wenn nicht sogar nutzlos. Drei Katzen vermisst, alle von unterschiedlicher Farbe und unterschiedlichem Alter. Die Glocke einer Katze hatte in der Hand des toten Mannes in Herrn Hunds ehemaliger Werkstatt gelegen. Bauer Bruder hatte ein Katzenhalsband am Handgelenk getragen. Agnes war überzeugt, dass der Troll wichtige Informationen liefern könne, nicht aber die Katzen selbst.
Mit einem Seufzer erkannte Gretel, dass sie bei ihren Ermittlungen um exakt gar keinen Schritt weitergekommen war. Zugleich schlichen sich ständig andere Dinge in ihren Denkprozess und verdrängten die Probleme, mit denen sie sich eigentlich befassen sollte. Wer zum Beispiel war der geheimnisvolle Bogenschütze? Und was hatte Prinzessin Charlotte im Schilde geführt? Und jetzt war da auch noch dieses Mädchen bei Madame Renoir – Johanna. Die junge Frau hatte etwas an sich, das den schlammigen Pfuhl von Gretels Erinnerungen aufwühlte und doch nicht offenbaren wollte, welcher Schatz dort vergraben war.
Die Kutsche überwand erneut eine tiefe Furche in der Straße. Der unsanfte Ruck holte Gretel in die Gegenwart zurück.
»Fast da«, versicherte ihr Hänsel. »Schau!«
Sie blickte an ihm vorbei zum Fenster hinaus. Bad am Seelag unter ihnen wie eine Spielzeugstadt, angeschmiegt an das Ufer des funkelnden Sees, ein Bild von beschaulicher Herrlichkeit.
Der Kutscher steuerte den steilen Abhang pannenfrei hinunter und lieferte seine Fahrgäste auf dem Stadtplatz ab. Das Restlicht und die langen Schatten des späten Aprilnachmittags zeichneten die Kanten der anheimelnd bemalten Gebäude um sie herum weich.
Die Reisenden streckten die schmerzenden Glieder zu einem Chor krachender Wirbel und Kniegelenke, erleichtert, heil und unversehrt am Ziel zu sein, sah man von geprellten Hinterteilen und zerrupften Nerven ab.
Gretel und Hänsel brauchten nicht lange, um sich im Bad-Hotel niederzulassen. Gretel packte aus, genoss ein kleines Nickerchen vor dem Abendessen und ging in die Gaststube. Hänsel fand heraus, dass in der gegenüberliegenden Schenke ein Minibierfest stattfand, und machte sich auf, das örtliche Gebräu zu kosten.
Gretel gab sich derweil Mühe, so viele Mitarbeiter des Hotels wie nur möglich nach dem Aufenthaltsort des Trolls zu fragen. Im Gegenzug erhielt sie jedes Mal eine der folgenden Antworten: Keine Ahnung; mir egal; fragen Sie mich nicht, bin zu beschäftigt. Gretel war sogar gezwungen, mit ein paar Goldmünzen zu klimpern, um überhaupt auf Kooperation zu stoßen, aber selbst das brachte ihr nicht mehr Informationen ein als die, dass der Troll möglicherweise mal gesichtet worden sei.
Gerade als sie für diesen Abend aufgeben und zu Bett gehen wollte, begegnete sie den Petersons.
»Ah, mein liebes Madel«, begrüßte Herr Peterson sie wie eine verloren geglaubte Freundin. »Wie schön, dich wiederzusehen. Ist das Bad-Hotel nach deinem Geschmack? Es ist mehr als dreißig Jahre her, seit wir zum letzten Mal hier abgestiegen sind, und es ist immer noch genauso perfekt, wie wir es in Erinnerung haben. Nicht wahr, Inge?«
Inge nickte begeistert.
»Wir freuen uns schon sehr auf morgen«, fuhr er fort. »Wirst du auch am Ausflug teilnehmen?«
»Ausflug?« Das Wort nötigte Gretel, ein Gähnen zu unterdrücken.
»Aber ja! Die Wanderung in die Berge über den Wildblumenpfad. Hat man dir das nicht gesagt? Na, was für ein Zufall, dass wir uns begegnet sind. Man stelle sich vor, wir wären uns nicht über den Weg gelaufen, dann hättest du die Gelegenheit verpasst, die Schönheit der alpinen Flora zu entdecken, die Bad am See zu bieten hat.«
»Ja, man stelle sich vor.«
»Hast du gewusst, dass es allein in dieser Region und nirgendwo sonst sechzehn verschiedene Miniaturorchideengattungen gibt?«
»Nein, habe ich nicht, muss ich zu meiner Schande gestehen.«
»Nun, wir sollten dich jetzt deiner Nachtruhe überlassen«, sagte Herr Peterson und machte strahlend den Weg frei. »Es geht morgen früh um Punkt sechs Uhr los, und für den steilen Pfad sollten wir alle ausgeruht sein. Gute Nacht, mein liebes Kind.«
Gretel eilte in die Zuflucht ihres Zimmers. Gerade war sie mit mehreren jener Worte bedacht worden, die ihr am meisten zuwider waren (»Wanderung« war eines der schrecklichsten). Und auch wenn die Erfahrung sie gelehrt hatte, dass es schlimmere Schicksale gab als
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