Es war einmal ein Mord: Ein Hänsel und Gretel-Krimi (German Edition)
verspreche ich dir.«
»Ich schlage vor, du fängst damit an, sie nicht als Bauerntölpel zu bezeichnen.«
»Wie viel haben wir?«
Gretel zögerte.
»Also gut«, versuchte Hänsel es erneut, »wie viel gibst du mir?«
»Fünf Scheine. Und es hilft dir nichts, wenn du mich so ansiehst. Mehr als fünf Scheine werde ich nicht riskieren.« Sie hielt es nicht für klug, ihm oder Roland zu verraten, dass fünf Scheine alles waren, was sie auf Erden besaß.
Hänsel steckte das Geld ein und stemmte sich steif auf die Beine, als unter den Kartenspielern ein Tumult ausbrach.
»Betrug! Dreckiger Falschspieler!«, brüllte der hagere Mann, der am nächsten beim Feuer saß.
Chaos brach aus. Es gab jede Menge Geschrei und Verwünschungen. Zwei der Männer sprangen von ihren Plätzen auf, stürzten sich auf den Dritten und bearbeiteten ihn mit den Fäusten. Der Vierte kippte zurück und warf dabei den Tisch um. Münzen und Scheine segelten durch den Schankraum. Als mehrere Zecher sich auf das Geld stürzten, während andere versuchten, sie zurückzuhalten, wurde der Aufruhr noch schlimmer.
Mitten in dem ganzen Wirbel ertönte ein Schrei. Im Handumdrehen hatte die Balgerei um die Beute ein Ende, und die Leute entfernten sich hastig von dem Tisch. Der Mann, den die anderen der Falschspielerei beschuldigt hatten, stolperte voran, die Hände auf den Bauch gepresst. Blut spritzte zwischen seinen Fingern hervor, und in seinem Gesicht spiegelten sich Schock und Furcht. Einen Augenblick stand er einfach da, taumelte zwischen Leben und Tod, nur um gleich darauf auf den schmutzigen Boden zu krachen.
Jemand stupste ihn mit einer Stiefelspitze an. Überzeugt, dass das Opfer tot war, schleifte er ihn anschließend mit zwei anderen aus dem Gasthaus. Der Kartentisch wurde wieder aufgestellt, die Krüge nachgefüllt, und jeder widmete sich wieder dem Essen oder Trinken oder schlief einfach vor dem Feuer ein.
Gretel zupfte ihren Bruder am Ärmel.
»Setz dich, Hänsel.«
»Aber das Spiel …«
»Mit denen kann ich dich nicht spielen lassen!«
»Ich bin kein Kind mehr, Gretel. Ich spiele, mit wem ich will.«
»Muss ich dich daran erinnern, was für ein schlechter Menschenkenner du bist?«
Einen Moment lang schwieg Hänsel, und sie wechselten einen Blick, der viele Jahre gegenseitiger Beschuldigungen, nicht bezahlter Schulden und unausgeglichener Waagschalen ins Gedächtnis rief. Dann strich er seine Jacke glatt.
»Diesen Leuten fehlt ein Spieler«, verkündete er mit fester Stimme. »Ich werde seinen Platz einnehmen.«
Gretel beobachtete, wie er hinüberging und sich vorstellte. Die Spieler nahmen ihn nur zu gern in ihre Runde auf. Hänsel setzte sich auf den Stuhl, der noch vor Minutenvon dem Kerl belegt worden war, dessen Leichnam nun in einem Wassergraben hinter dem Gasthaus abkühlte.
Gretel versuchte sich derweil zu erinnern, wie es ihr gelungen war, sie alle überhaupt in solch eine Lage zu bringen. Sie würde es sich nie verzeihen, sollte ihr Bruder zu Schaden kommen. Ihre Taten hatten sie hergeführt. Es war ihre Verantwortung.
Zwei Stunden später saßen Hänsel, Gretel und Roland bequem auf den besten Plätzen des Hauses, wärmten ihre Zehen am Feuer, Gläser mit Weinbrand neben den Bierkrügen, und wischten mit frischem Brot die Schalen aus, in denen auf wundersame Weise ein hervorragendes Eintopfgericht erschienen war. Hänsels Taschen beulten sich unter seinen Gewinnen, und zwischen seinen Zähnen klemmte eine dicke Zigarre. Als er endlich vom Tisch aufgestanden war und erklärt hatte, er hätte genug für den Abend, hatte er sofort eine Runde Getränke für die ganze Truppe bestellt, um sich gegen Raub oder Feindseligkeit zu wappnen.
»Ein echter Triumph, mein lieber Bruder«, verkündete Gretel. »Ein Triumph.«
Hänsel strahlte, errötete und rülpste verzückt. »Ich bin nicht ganz nutzlos, weißt du?«
»Sieht so aus.«
Sogar Roland hatte seinen verständlichen Groll gegen das Zocken ausreichend überwunden, um die Vorzüge von Hänsels Gewinn zu genießen, und verleibte sich gerade den dritten Teller Eintopf ein.
Beseelt von neuem Optimismus korrigierte Gretel ihre Sicht der Dinge und Herausforderungen, die vor ihnen lagen. Sie hatten genug Geld, sich ein Zimmer zu nehmen, und konnten sich folglich ordentlich ausruhen. Sie konnten außerdem nocheinige Dinge für die Reise kaufen, darunter warme Kleidung. Wichtiger aber war, dass die positive Wendung eine verjüngende Wirkung auf Gretels geistige
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