Es war einmal eine Familie
war.
Obwohl wir zusammen im Kindergarten und in der Schule waren, besuchte ich Malka erst gegen Ende der sechsten Klasse zum ersten Mal zu Hause, als sie an Windpocken erkrankt
war. Wir Kinder mieden ihre Wohnung, weil wir gehört hatten, daß es da spuke.
Die kleine Wohnung der Familie Lifschitz hatte sich, obwohl ich nur dieses eine Mal dort gewesen war, tief in mein Gedächtnis eingegraben.
Sie war blitzblank, frei von Staub, Bildern und Büchern. In der Küche standen ein alter, zerkratzter Tisch und darum herum drei Stühle, im Schlafzimmer stand ein großes Bett, im Vorraum ein kleineres Bett und mittendrin eine große Kiste mit Kleidungsstücken, Bettwäsche, Handtüchern und Geschirr.
Jizchak, Malkas Vater, lief in Hausschuhen und Pyjama durch die leere Wohnung und sprach mit sich selbst.
Ab und an unterbrach er sein Herumwandern, setzte sich auf das wacklige Eisenbett und murmelte: »Ich will nicht, daß es mir gutgeht, ich will nicht schlafen, ich will nicht vergessen.«
Draußen im Hof, zwischen lauter vor sich hin rostendem Schrott, stand, als gehöre es nicht dazu, ein Dreirad, beladen mit frischen Blumen.
Das war das Dreirad von Chava, Malkas Mutter, die, da es nicht anders ging, die Bürde des Lebens und des Lebensunterhalts auf sich genommen hatte.
Jeden Morgen wurde das Viertel von ihrem Ruf geweckt: »Blumen, Blumen! Kommt zu Chava und kauft Blumen!«
» Rachmones « ** , sagten die Nachbarinnen, wenn sie ihr Rufen hörten, und drängten ihre Männer, die gerade zur Arbeit gehen wollten, zuvor schnell noch bei Chava einen Strauß Rosen, Lilien oder Gladiolen zu kaufen.
»Gerechte beginnen den Tag mit einer guten Tat«, sagte Chava dann immer und bedankte sich bei den Käufern.
»Blumen, Blumen!« fuhr die kleine, zerbrechliche Frau fort zu rufen, bis sie das ganze Viertel durchquert hatte.
Am Ende des Viertels, neben dem Friedhof, parkte sie ihr Dreirad. »Kommt zu Chava und kauft Blumen!« flehte sie mit brüchiger Stimme die Vorübergehenden an, die Trauernden und die Tröstenden, und gegen Abend nahm sie die Blumen, die keiner gekauft hatte, und legte sie auf die Gräber, die von niemandem besucht wurden.
Am Ende ihres Arbeitstages hob sie die erloschenen Augen und die kleinen Hände zum Himmel, dankte dem Herrn der Welt dafür, daß er ihr die Kraft und Gesundheit gegeben hatte, ihre Malka ehrenvoll zu ernähren und zugleich etwas Gutes zu tun, und bat den Ehrwürdigen, ihrer Malkale ein gutes und glückliches Leben zu schenken.
Als wir in der zehnten Klasse waren, kam der schüchterne Zvika Schtigman aus der zwölften Klasse zu Malkale und fragte sie laut und vor allen, ob sie seine Freundin werden wolle.
Malka und Zvika wurden ein Paar. Chava erzählte allen, daß der Ewige, gelobt sei Er, ihre Gebete erhört habe, ihre Malkale habe einen Mann und eine gute Familie gefunden. Frau Schtigman, verkündete Chava ihren Kunden, sei eine wunderbare Hausfrau, Zvikas Schwester Leiterin bei den Pfadfindern und sein Vater Fahrer bei der Busgesellschaft Egged.
»Und Zvika«, fügte sie glücklich hinzu, »ist ein junger Mann mit einem Kopf auf den Schultern und einem Herz aus Gold.«
Als Malka das Gymnasium beendet hatte, hielt Zvika um ihre Hand an.
Malka bat ihn, noch zu warten. »Ich möchte erst meinen Militärdienst ableisten.«
Zvika wartete.
Gleich nach Malkas Militärdienst mieteten die beiden einenSaal für die Hochzeitsfeier, kauften ein Brautkleid und ließen Einladungskarten für Freunde und Nachbarn drucken.
Im Viertel gab es keine Geheimnisse. Wie alle anderen erfuhr ich, daß Malkas Vater einen Blick auf den Stapel Einladungskarten geworfen und Chava gefragt hatte: »Wieso ein Fest? Wen lädst du überhaupt ein? Werden meine Mutter und mein Vater aus Treblinka kommen? Onkel Jisruel und Tante Mira aus Majdanek? Großvater Michael aus Dachau?«
»Gott hat uns Gelegenheit gegeben, glücklich zu sein«, sagte Chava zornig zu ihm, was so gar nicht ihre Art war, und forderte nachdrücklich, daß er wenigstens einmal, nur dieses eine Mal, glücklich sein solle – »nur für das Mädchen«.
Jizchak schwieg, und Chava schwor, daß zur Hochzeit ihrer Malkale viele Gäste kommen sollten und man ein großes Freudenfest feiern würde.
Auf ihr Dreirad, zwischen die Blumen, legte Chava Einladungskarten, und jeder, der Blumen kaufte, bekam auch eine Einladung.
»Kommt«, bat sie, »kommt, ihr seid doch wie Familie.«
Sechs Tage vor der Hochzeit brach der Jom-Kippur-Krieg
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