Es war einmal eine Familie
Voller Abscheu wehrte Dorka auch Nachbarn und Freunde ab, die ihr voraussagten, ihr Dovele würde eines Tages ein berühmter Gitarrist werden, und beschimpfte sie als asiatische Barbaren.
Zwei Jahre lang kämpfte die unglückliche Dorka gegen Marian, gegen die Gitarre und gegen die Liebe. Mit gequältem Gesicht stand sie am Fenster und schrie laut ihre Not hinaus: »Alles wegen dieser kurve ! Alles nur wegen ihr!«
Als wir in der Zwölften waren, fuhr unsere Klasse für eine Woche zu vormilitärischen Übungen.
Marian weigerte sich, eine Uniform zu tragen, und erschien in zerrissenen Jeans und Hemdchen zum Appell.
»Uniformen sind nicht sexy«, erklärte sie der überraschten Ausbilderin.
Und die Uzi, die jeder von uns trug, tauschte sie gegen ihre Gitarre aus. »Warum«, fragte sie, »warum soll ich ein Gewehr schleppen, wenn ich nie im Leben bereit sein werde, auf jemanden zu schießen?«
Die Mädchen brachen in Gelächter aus.
Die Ausbilderin faßte sich wieder. Marian sei ein Mädchen mit Problemen, befand sie und befreite sie von allen Aufgaben.
Jeden Abend, nachdem das Licht gelöscht wurde, verließ Marian das Zelt der Mädchen und eilte zur Kommandantur. Bis spät in die Nacht waren von dort Lachen und Gitarrenklänge zu hören.
Nach dieser Woche hatte Marian, die kurve , keine Freunde mehr. Die Mädchen boykottierten sie, die Jungen ignorierten sie, und auch Dovele trennte sich von ihr.
Dorka stellte sich in ihrem schönsten Gewand ans Fenster. » Kurve «, schrie sie, als Marian auf der Straße vorbeiging. »Jetzt wissen alle, daß du eine kurve bist.«
»Verrückte!« brüllte Marian zurück. »Dein Sohn ist arm dran, er hat eine crazy mom aus der Shoah!«
Damals erzählte mir Marian, Dorka habe gesagt, wäre nicht der Krieg gewesen, wäre bestimmt ein Geiger wie Yehudi Menuhin Doveles Vater geworden und nicht ein mickriger Krämer wie Efraim.
Sie erzählte mir auch von einem Foto, das in Dorkas und Efraims Schlafzimmer hing, das Foto eines kleinen Jungen mit Stiefeln bis zu den Knien, einer riesigen Wollmütze und großen schwarzen Augen.
»Dorka«, beschrieb Marian aufgeregt, »streichelt dieses Foto, küßt das Glas und fängt manchmal ganz plötzlich an zu weinen. Einmal hat sie sogar geschrien: Dovele, siehst du nicht, daß du auf dem Foto nicht so lange Haare hast? Und dann hat sie eine große Schere aus der Küche geholt und ihm alle Locken abgeschnitten. Und Dovele hat gesagt«, fügte Marian hinzu, »so wäre sie nun mal, und jedesmal, wenn er sie frage, wer dieser Junge sei, würde sie antworten: Das bist du.«
Marian wollte mir noch weitere dunkle Geheimnisse verraten, aber auch ich boykottierte sie, wie alle anderen.
Viele Tage lief sie noch durch die Straßen des Viertels und suchte Zuhörer für ihre Geschichten.
Viele Tage lang stand Dorka, die Siegerin, aufrecht und schön zurechtgemacht am Fenster und verkündete triumphierend, daß die kurve aus Amerika unter dem Einfluß harter Drogen seltsame Geschichten erfinde.
Marian stand gegen Abend traurig und allein vor EfraimsLadentür, zupfte an den Saiten ihrer Gitarre und sang Liebeslieder.
Efraim, voller Mitleid mit dem unglücklichen Mädchen, kam heraus, gab ihr ein Stück Schokolade oder einen Kaugummi und lobte ihren Gesang.
Im Winter 1970 begann Doveles Militärdienst, und er meldete sich freiwillig zu einer Elitekampfeinheit.
»Er eignet sich nicht zum General«, schluchzte Dorka entsetzt. »Mein Dovele ist doch ein Musikant von Geburt.«
Dovele konnte seiner Mutter endlich entfliehen. Ich freute mich für ihn.
»Alles wegen dieser kurve , sie ist an allem schuld!« schrie Dorka aus dem Fenster.
Aber Marians Familie hatte das Viertel schon verlassen.
Marian war wegen Untauglichkeit aus dem Militärdienst entlassen worden und hatte ihre Eltern gedrängt, das Land zu verlassen. Nur ihre alte Tante Mela blieb im Viertel. Wegen ihres hohen Alters hatte sie sich vor der langen Reise in das ferne Amerika gefürchtet.
Zur Mißbilligung Dorkas war Dovele im Militär erfolgreich. Er beendete einen Kompanieführer- und einen Offizierskurs mit Auszeichnung und kam nur selten ins Viertel zurück.
Und noch seltener, wenn ihm danach war, spielte er zu seinem Vergnügen Geige.
Dorkas Herz füllte sich mit Hoffnung.
»Heute gegen zwei Uhr nachmittags haben die Armeen Ägyptens und Syriens einen Krieg gegen Israel eröffnet. Im Sinai und auf den Golanhöhen starteten sie eine Serie von Angriffen ihrer Luftwaffe sowie mit
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