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Es war einmal eine Familie

Es war einmal eine Familie

Titel: Es war einmal eine Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lizzie Doron
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lief durch die Straßen des Viertels, und jedem, der bereit war, zuzuhören, erzählte er, er sei ein Held, er sei im Kampf gefallen und am Leben geblieben, er allein, ohne Hilfe von anderen, habe zwei israelische Soldatinnen vor dem sicheren Tod auf dem Schlachtfeld bewahrt.
    Als der Jom-Kippur-Krieg ausbrach, lief Roni durch die Straßen des Viertels und erteilte Befehle an von ihm phantasierte Kämpfer.
    »Feuer auf das Ziel!«
    »Ein Flugzeug nähert sich der Stellung!«
    Ungeschützt lief er das Sträßchen entlang und rapportierte dem Generalstabschef, was auf dem Schlachtfeld vor sich ging: »Hier Postawski, momentan ist alles ruhig, keine Truppenbewegung hier am Stützpunkt, over , ich beherrsche die Lage, over .«
    Nach Ende des Kriegs verkündete er allen, denen er begegnete, daß der Generalstabschef ihm bald den Orden für Tapferkeit im Kampf verleihen werde.
    Ronis Mutter starb kurz nach dem Krieg.
    Noch bevor sie die Welt verließ, sorgte sie dafür, daß ihr Roni in einem guten Heim unterkam.
    Joschi hielt die Stellung. Er goß seine Blumen, die am Shoah-Gedenktag zu einem Blumenkranz wurden.
    Jedes Jahr kam Roni für den Shoah-Gedenktag aus dem Heim ins Viertel.
    Einige Minuten bevor die Sirene erklang, sah man ihn festlich gekleidet die Treppe des Hauses herunterkommen und langsam durch den nackten Garten gehen, bis der Klang der Sirenen die Luft zerschnitt. Dann baute er sich in Habachtstellung vor dem Mispelbaum auf und salutierte den Blumen, die sein Vater dort aufgehäuft hatte.
    Wenn die Sirene sich beruhigte und es wieder still wurde, kehrte Roni mit kleinen Schritten und mit gesenktem Kopf zur Treppe zurück. Dort setzte er sich auf die oberste Stufe und starrte bis zum Ende des Gedenktags vor sich hin.

    Die Ruhe des Schabbat und die Heiligkeit des Jom Kippur umhüllten das Viertel am Vorabend des Shoah-Gedenktags.Die Familien versammelten sich in ihren Wohnungen, alle Fenster und Fensterläden wurden geschlossen, für alle wurde es Nacht, noch bevor die Sonne untergegangen war.
    Und die Dunkelheit dieses Abends wurde in allen Zimmern von den gelben Flämmchen der Seelenlichter erleuchtet.
    Am nächsten Tag, am frühen Morgen, liefen die Kinder, gekleidet in Blau und Weiß, zur Gedenkzeremonie auf dem Schulhof.
    Dovele drückte seine Geige an sich, Ascher Lewinger summte: »Sag nie, du gehst den letzten Weg«, und Roni deklamierte mit viel Pathos: »Dank meiner Augen, die verwaiste Eltern gesehen …«
    Die Kinder versammelten sich auf dem Schulhof, im ganzen Viertel war es völlig still. Das Schulmikrophon zerschnitt die Stille.
    »Eins, zwei, drei – Probe!« brüllte Schamaj, der Hausmeister, und nachdem er ein paarmal »Probe« gedonnert hatte, verkündete er mit lauter Stimme: »Meine Damen und Herren, die Zeremonie zum Shoah-Gedenktag beginnt!«
    Die Zeremonie wurde von Dovele mit klagenden Geigenklängen eröffnet. Während seines Spiels setzte Schalom, der Sportlehrer, die israelische Flagge am Baumstamm, der an diesem Tag als Fahnenmast diente, auf halbmast.
    »Kommen wird noch die von uns ersehnte Stunde …« Aschers Lied, vom Mikrophon verstärkt, erfüllte das ganze Viertel.
    Aus dem ganzen Viertel eilten die Menschen zum Schulhof. Zila, Guta und Frau Poliwoda gingen dicht nebeneinander, als fürchteten sie, allein zur Gedenkfeier zu kommen, und hinter ihnen liefen Mirjam und Sarka. Efraim, der für diesen Anlaß seinen Lebensmittelladen beizeiten geschlossen hatte, rief Dorka, seiner Frau, zu, sie solle sich, Gott behüte, ja nicht verspäten und rechtzeitig zur Zeremonie kommen, aberDorka, wie um ihn zu ärgern, ging sehr langsam und summte die ganze Zeit: »Sag nie, du gehst den letzten Weg.« Ruben schloß seinen Gemüseladen, Malkales Mutter kam verschwitzt auf ihrem Dreirad an, und sofort nach ihr erschien Ida, die Kosmetikerin, mit ungeschminktem Gesicht. »An diesem Tag will ich nicht schön sein«, erklärte sie, und Dorka tröstete sie mit übertriebener Freundlichkeit: »Mach dir keine Sorgen, auch an den anderen Tagen bist du nicht so schön.« Arm in Arm wie ein Liebespaar kamen Lea Bittermann, die Maniküre, und Sajtschik, der Friseur. Unter den Versammelten war auch Alte-Sachen -Lejser, der seinen Pferdewagen vor dem Schultor abgestellt hatte, und neben ihm stand Jacek-schleift-billig-Messer-und-Scheren. Alle standen sie beieinander und schauten der Zeremonie zu.
    Mischka, unser Fotograf, der bei allen Gelegenheiten die Kinder des Viertels fotografierte und dann

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