Es war einmal in New York / Nie wieder sollst du lieben
Einladung dankend abgelehnt, und umso erstaunter war sie, als im letzten Moment die Tür aufging und er doch noch einstieg. Erst als er sich auf seinem Platz zurücklehnte und das Licht der Laterne im Inneren der Kabine auf ihn fiel, sah sie, dass es nicht Rourke, sondern Hart war.
Er ließ sich auf der gegen die Fahrtrichtung weisende Bank nieder und nahm die Kutsche so sehr in Beschlag, dass sie winzig und beklemmend wirkte. „Los geht’s, Raoul“, rief er und klopfte einmal gegen das Dach, dann setzte sich der Sechsspänner in Bewegung.
„Was gibt das?“, brachte Francesca heraus.
„Ich begleite euch“, erwiderte er ernst.
Die beiden starrten sich lange Zeit an, und dann erkannte sie an seiner angespannten Miene, dass sich an seiner Einstellungin der letzten Viertelstunde wenig geändert hatte. „Wieso?“
„Ich vermute, es wird eine lange Nacht werden. Meine Einstellung zu diesem Thema hat sich nicht geändert. Ich mag es nicht, wenn du mitten in der Nacht in der Stadt unterwegs bist und Verbrechern von der übelsten Sorte nachjagst.“
Ihr Herz schlug vor Sorge schneller, und sie fühlte sich sogar ein wenig erleichtert. Wie einfach es doch war, ihn zu durchschauen. Es war erst sieben Uhr, und Lord Randolph ging wohl kaum als Verbrecher durch – auch wenn die Möglichkeit bestand, dass er sich als der Schlitzer entpuppte. Zudem war Raoul ihr Leibwächter. Es gab also keinen Grund für Hart, ebenfalls mitzukommen, es sei denn, er war nach wie vor sehr an ihrer Unversehrtheit interessiert. Sie wagte den Versuch, ihm ein flüchtiges Lächeln zuzuwerfen.
Er verzog keine Miene, als er erklärte: „Ich glaube, du verfolgst eine falsche Fährte.“ Dann drehte er sich zur Seite und sah stumm aus dem Fenster.
Nach dem verbissenen Ausdruck zu urteilen, hielt Francesca es für sinnlos, mit ihm eine zivilisierte Unterhaltung beginnen zu wollen. Und doch sagte sie – mit wild klopfendem Herz in ihrer Brust –: „Wir haben eine sehr spärliche Liste von Verdächtigen – David Hanrahan, Lord Randolph, Sam Wilson und John Sullivan. Hanrahan hat kein Alibi, Randolph müssen wir erst noch befragen. Wilson hat ein Alibi für den letzten Donnerstag, doch da bin ich mir nicht sicher, ob wir Francis wirklich glauben können. Sullivan soll jeden Abend losgezogen sein, um sich zu betrinken, auch an dem Abend, als seine Frau ermordet wurde. Ob er Selbstmord beging, wissen wir noch nicht. Falls ja, könnte er der Schlitzer gewesen sein.“ Sie versuchte es mit einem weiteren Lächeln, doch Hart sah weiter stur aus dem Fenster. „Was meinst du dazu?“, fragte sie.
Er warf ihr nur kurz einen finsteren Blick zu. „Ich habenoch kein so klares Bild. Manche Dinge reimen sich für mich noch nicht zusammen“, gab er wortkarg zurück und sah wieder auf die Straße.
Francesca gab auf. Sie sah zu der Seite aus der Kutsche, auf der Maggie saß, weil sie Hart nicht länger in ihrem Blickfeld haben wollte. Dafür waren ihre Gefühle im Moment einfach zu zerbrechlich.
Als Maggie ihr die Hand tätschelte, lächelte Francesca sie kurz an. Für die nächste halbe Stunde sagte dann niemand mehr ein Wort, während Raoul die Kutsche nach Downtown lenkte. Die Stimmung war so gereizt, dass man die Luft mit einem Messer hätte schneiden können.
Endlich kam das Holland House Hotel in Sichtweite, das den halben Block zwischen der zwanzigsten und dreißigsten Straße beanspruchte und in westlicher Richtung bis an die Fifth Avenue reichte. Es war ein ansprechendes Gebäude aus Granit, das vor einigen Jahrzehnten gebaut worden war. Francesca vergaß völlig, dass Hart mit dabei war, und betrachtete fasziniert den überdachten Eingang, vor dem zwei Portiers in Livree standen. Der Kutschwagen wurde langsamer, und Francesca wandte sich an Hart. „Es ist nicht nötig, unter einem falschen Vorwand aufzutreten. Du kannst an der Rezeption nach Randolph fragen. Wir gehen zusammen mit dir hinein und geben vor, dass wir zum Essen gekommen sind. Wenn er im Hotel ist, kannst du ihm eine Nachricht zukommen lassen, damit er sich mit dir in der Lobby trifft.“ Sie sah ihn abwartend an. „Falls dir das nichts ausmacht, natürlich …“
Calders Blick wanderte nachdenklich über ihr Gesicht, dann schüttelte er langsam den Kopf. „Natürlich macht mir das nichts aus.“
Raoul war vom Bock abgestiegen und hielt ihnen die Tür auf. Francesca folgte Maggie nach draußen auf den Fußweg und merkte, wie sie ihre Aufgeregtheit allmählich
Weitere Kostenlose Bücher