Es war einmal in New York / Nie wieder sollst du lieben
bei ihrer ersten Begegnung hatte Hart diese Wirkung auf sie gehabt, obwohl sie sich damals noch geweigert hatte, seinen Charme und seine Attraktivität anzuerkennen. Er war einer der reichsten Männer New Yorks, obwohl er aus bescheidenen Verhältnissen stammte und als uneheliches Kind in der verarmten Lower East Side zur Welt gekommen war. Trotz seines Rufs als Frauenheld hatte er bis vor kurzem noch als der begehrteste Junggeselle der Stadt gegolten. Sämtliche Damen der Gesellschaft wetteiferten förmlich um seine Aufmerksamkeit für ihre heiratsfähigen Töchter. Doch Hart ließ sich lieber mit anrüchigen Geliebten oder geschiedenen Frauen ein und schreckte vor jeder ernsthaften Verbindung zurück. Mitunter kniff Francesca sich immer noch selbst, um zu begreifen, dass ausgerechnet sie, die ebenfalls stadtbekannt war, nämlich als Exzentrikerin, Blaustrumpf und Detektivin,sich Calder Hart geschnappt hatte. Wenn sie heute eine Party oder einen Ball besuchte, wurden hinter ihrem Rücken die Messer gewetzt und die Dolche gezogen. Anfangs verletzte sie das Getuschel und die Gerüchte, inzwischen gefiel ihr die Aufmerksamkeit fast. Was vermutlich daran lag, dass meistens Hart an ihrer Seite war, der sie flüsternd ermahnte, das Rampenlicht zu genießen.
Aber nicht alles verlief so perfekt. Ihr Vater war absolut gegen Hart. Schon vor einem Monat hatte Andrew Cahill die Verlobung aufgehoben. Und obwohl Francescas Mutter so wütend war, dass sie nur noch im Notfall mit ihm sprach, schien er nicht einlenken zu wollen. Allerdings brüstete sich Julia bei gesellschaftlichen Anlässen weiterhin mit der Verlobung ihrer Tochter.
Da Francesca zu dem Schluss gekommen war, dass sie sich einfach keine Zukunft ohne Hart vorstellen konnte, musste sie Andrew für ihre Sache gewinnen. Ihr Vater galt als einer der fortschrittlichsten und bedeutendsten Köpfe der Stadt. Zudem war er ein großer Wohltäter, und Francesca bewunderte ihn sehr. Hinter seinem Rücken durchzubrennen, kam nicht infrage, obwohl sie und Hart das erwogen hatten. Zum ersten Mal in ihrem Leben schaffte sie es nicht, bei ihrem Vater ihren Willen durchzusetzen.
Hart hatte vorgeschlagen, seinen potenziellen Schwiegervater im Moment nicht weiter zu bedrängen. Zurzeit war Calder nicht in der Stadt, und Francesca vermisste ihn furchtbar.
Als könnte sie die Gedanken ihrer Tochter lesen, fragte Julia auf einmal sanft: „Wann kommt Calder wieder zurück, Francesca?“
„In ein oder zwei Tagen, Mama. Er ist in Boston, geschäftlich.“ Hart verdiente sein Vermögen mit Schiffen, Versicherungen und der Eisenbahn. Außerdem war er ein weltweit angesehener Kunstsammler mit einer der größten und kostbarsten Privatsammlungen Amerikas.
Vor einigen Monaten hatte er ihr Porträt in Auftrag gegeben, was Francesca sehr geschmeichelt hatte. Das Bild war ein Akt, und sie wagte viel, indem sie dafür Modell stand. Letzten Monat wurde das Gemälde fertiggestellt – und gestohlen. Weil Francesca viel zu durcheinander war, um den Diebstahl mit klarem Kopf zu untersuchen, beauftragte Hart private Ermittler mit dem Fall. Doch sie fanden keine Spur, als hätte das Bild sich in Luft aufgelöst. Sollte es jemals in der Öffentlichkeit auftauchen, wäre Francesca erledigt, das war ihr klar. Und sie hatte durchaus einige Feinde, denen der Verlust ihres gesellschaftlichen Ansehens eine Freude wäre, auch wenn viele von ihnen inzwischen im Gefängnis saßen.
Doch Francesca wollte jetzt nicht an das verschwundene Bild denken. Stattdessen malte sie sich das Wiedersehen mit Hart aus. Sie konnte es kaum erwarten, wieder in seinen Armen zu liegen und leidenschaftliche Küsse mit ihm auszutauschen. „Mama, ich gehe zu Bett. Es war ein netter Abend“, sagte sie und küsste ihre Mutter auf die Wange.
„Ja, das war er, nicht wahr?“ Julia sah sehr zufrieden aus.
Nachdem er dem Kutscher Anweisungen für den morgigen Tag gegeben hatte, betrat auch Andrew Cahill die große Eingangshalle. Lächelnd sah Francesca zu, wie ihr Vater seinen Zylinder, die weißen Handschuhe und den Schal ablegte. Er war ein kleiner Mann von rundlicher Statur und trug einen buschigen Backenbart. „Hat dir die Veranstaltung gefallen, Papa?“ Sie kamen von einem Wohltätigkeitsessen, das ihre Schwester Connie – eine ebenso erfolgreiche Gastgeberin wie Julia – gegeben hatte, um Spenden für die umfangreiche öffentliche Bibliothek zu sammeln, die an der Ecke Fifth Avenue 42. Straße errichtet werden sollte. Gut
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