Es war einmal in New York / Nie wieder sollst du lieben
Klientin anzunehmen, nickte Francesca. Sie ergriff die Gelegenheit, um sich niederzuknien und Daisys entstellten Körper mit dem Überwurf zu bedecken. Beim Aufstehen zog sie Rose mit auf die Füße und legte den Arm um sie. „Komm, setz dich in den Salon“, schlug sie vor. Sie wollte Rose aus dem Zimmer haben.
Doch diese weigerte sich. „Nein. Ich lasse sie hier nicht einfach so zurück!“
Noch einmal kniete Francesca rasch nieder und zog den Überwurf über Daisys Gesicht. „Rose, ich muss die Polizei benachrichtigen. Ein Mord ist geschehen, und er muss angezeigt werden. Doch ich möchte dich hier nicht allein zurücklassen.“
Rose ließ sich in das Sofa fallen und brach wieder in Tränenaus. „Wer sollte so etwas tun? Und warum? Mein Gott, warum?“
Um sie zu trösten und zu beruhigen, setzte Francesca sich neben sie, und allmählich kam sie selbst wieder zu klarem Verstand. Vor einer guten halben Stunde hatte sie Rose’ Nachricht erhalten, wenige Minuten vor Mitternacht. Betty hatte gesagt, dass der Brief wenige Minuten vor ihrem Eintreffen abgegeben wurde. Die Fahrt von Daisys Haus zum Wohnsitz ihrer Eltern dauerte bei geringem Verkehr etwa eine halbe Stunde, also hatte Rose die Nachricht gegen halb zwölf abgeschickt. „Rose? Bist du in der Lage, einige Fragen zu beantworten?“
Endlich sah Rose auf. „Wirst du ihren Mörder suchen? Die Polizei wird sich sicher nicht ernsthaft bemühen. Ich traue diesen Kerlen nicht.“
Einen Moment zögerte Francesca. Sie dachte an Daisys Feindseligkeit bei ihrer letzten Begegnung und daran, dass Rose Hart hasste, weil er ihr Daisy ausgespannt hatte. Doch wie konnte sie Rose zurückweisen, wo diese Daisy doch so sehr geliebt hatte? „Ja, ich werde ihn übernehmen.“
„Du übernimmst den Fall, obwohl du sie gehasst hast?“
„Ich habe sie nicht gehasst, Rose. Ich habe sie gefürchtet.“
Bei diesen Worten richtete Rose sich auf und blickte Francesca in die Augen. Schließlich sagte sie: „Also gut. Was willst du wissen?“
„Was ist hier heute Abend geschehen? Wann hast du sie gefunden?“
„Ich weiß nicht. Ich war heute Abend aus, und als ich wieder nach Hause kam, war das Haus dunkel. Daher wusste ich sofort, dass irgendetwas nicht stimmte! Ich habe nach ihr gerufen, doch sie gab keine Antwort.“
Rose hielt inne, als ein gedämpftes Geräusch aus der Halle zu hören war.
Auch Francesca erstarrte und blickte ebenso wie Rose zuder offenen Tür. Nach wie vor lag die Halle in tiefer Dunkelheit da, und sie konnte nichts erkennen. Doch sie hatte einen Laut gehört – irgendjemand war im Haus.
Francesca erhob sich. „Wo sind die Bediensteten?“
„Der Butler schläft in dem Raum hinter der Küche, genau wie die Magd. Die Haushälterin geht um fünf nach Hause.“ Nun war Rose aschfahl und schaute sie aus schreckgeweiteten Augen an.
„Bist du die Treppe hochgegangen, als du nach Hause gekommen bist?“
Rose schüttelte den Kopf. „Nein. Ich wollte gerade nach oben gehen, als ich das Licht in diesem Zimmer sah.“ Ihre Lippen bebten, und sie sah zu Daisys verhülltem Körper. Offensichtlich bemüht, ihre Tränen zurückzuhalten, atmete sie tief ein.
„Warte hier“, sagte Francesca. Nach einem kurzen Blick zum Schreibtisch ergriff sie den Brieföffner. Dann überlegte sie es sich anders, legte ihn zurück und nahm stattdessen einen kristallenen Briefbeschwerer. Nach dem, was man Daisy angetan hatte, konnte sie sich nicht vorstellen, jemanden zu erstechen. Den Briefbeschwerer fest in ihrer Hand, verließ sie das Arbeitszimmer. Im Gang herrschte nach wie vor Finsternis, und jedes blonde Härchen in ihrem Nacken stellte sich auf vor Angst.
Irgendjemand lauerte in dem Gang, der zur Küche und zu den Gesinderäumen gehörte. Kaum vorstellbar, dass es sich um den Mörder handelte, der längst geflüchtet sein musste. Wahrscheinlich war es nur ein Diener.
Andererseits taten Mörder oft das Gegenteil von dem, was man von ihnen erwartete.
Francesca nahm all ihren Mut zusammen, wünschte erneut, dass sie ihre Pistole dabeihätte, und bewegte sich so leise wie möglich vorwärts. Sie hörte, wie jemand näher kam – mitlangsamen, vorsichtigen Schritten.
Ihr Griff um den Briefbeschwerer verstärkte sich. Kurz überlegte sie, ob sie umdrehen und weglaufen sollte, doch wer immer sich ihr auch näherte, würde sie sowieso gleich sehen. Also presste sie sich gegen die Wand und wartete. Im nächsten Moment tauchte die schattenhafte Kontur eines Mannes
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