Es war einmal in New York / Nie wieder sollst du lieben
geworden zu sein. Und wenn sie an Calders Täuschung mit seiner Geschäftsreise dachte, dann war dem auch so.
Eilig schob Francesca ihre Bedenken zur Seite, stieg aus der Kutsche und eilte die Stufen vor dem Gebäude hinauf. Die Lobby war sehr belebt. Ein verärgert und gereizt wirkender Sergeant Shea erwehrte sich am Empfangstresen der vielen Menschen, die dort zornig und laut ihre verschiedenen Anliegen vorbrachten. Ein besonders heruntergekommenes Exemplar wurde in Handschellen von einem Beamten zu einem anderen Schreibtisch geführt. Am anderen Ende des riesigen Raumes lagen die Arrestzellen. Jede von ihnen war besetzt, wobei die Hälfte der Insassen dort ihren Rausch ausschlief. Eine spärlich bekleidete Prostituierte klammerte sichan die Stäbe und hauchte jedem vorbeigehenden Polizisten Küsse zu. Telefone klingelten, Schreibmaschinen klapperten und Telegrafen ratterten. Francescas Blick schweifte über den belebten Raum zu dem Fahrstuhl und den Treppen.
Als sie Arthur Kurland die Treppe hinunterkommen sah, stockte ihr Herz. Umso mehr, als er sehr zufrieden mit sich wirkte.
Vermutlich hatte er soeben sämtliche bisherigen Fakten des Falles erfahren. Falls dem so war, wusste er jetzt, dass sie versucht hatte, ihn auf eine falsche Spur zu locken. In Windeseile lief Francesca in Richtung Empfangstresen und drängelte sich rücksichtslos durch die Menge, ohne auf die Proteste und Flüche, die sie dabei erntete, zu reagieren. Sie schob sich zwischen zwei Herren, beugte sich über den Tresen und zog den Kopf ein. Während sie darum betete, unsichtbar zu werden, erwartete sie atemlos, dass Kurland seine Hand auf ihre Schulter legte und triumphierend seinen Sieg verkündete, doch nichts dergleichen geschah. Schließlich hob Francesca wieder den Kopf und sah sich um. Kurland war fort. Nach einem erleichterten Seufzer entschuldigte sie sich bei den beiden aufgebrachten Her ren.
Sie winkte Sergeant Shea kurz zu, doch der war zu beschäftigt, um sie zu bemerken. Schweren Herzens ging sie zum Fahrstuhl. Mochte sie der Konfrontation mit Kurland auch entgangen sein – wahrscheinlich hatte er alles über die gestrige Nacht erfahren. An die morgigen Schlagzeilen wagte sie kaum zu denken und hoffte nur, dass sie nicht allzu bösartig und verleumderisch ausfielen.
Am Fahrstuhl öffnete sie die schwere Tür zu dem eisernen Käfig und drückte den Knopf für das zweite Stockwerk. Einen Augenblick später surrte der Motor, und die Kabine begann ihren langsamen Aufstieg. Oben kämpfte Francesca erneut mit der Tür und ging dann den Gang hinunter zu Braggs Büro.
Die Tür stand offen, doch er saß nicht an seinem Schreibtisch. Das Büro war ein kleiner Raum mit einem Kamin, auf dessen Sims ein Dutzend Fotografien von seiner Familie und von Freunden standen, dazu ein sehr interessantes Bild von ihm mit Theodore Roosevelt, bevor dieser Präsident geworden war. Vor einem Fenster, das auf die Mulberry Street zuging, stand sein Schreibtisch, dahinter ein Stuhl mit geflochtener Lehne. Sie blickte kurz auf die verschiedenen Aktenstapel und Papierhaufen, die über den ganzen Schreibtisch verteilt waren. Natürlich durfte sie nicht herumschnüffeln, aber sie erkannte einen der zuoberst liegenden Aktendeckel wieder – es war der Bericht des Leichenbeschauers.
Glücklicherweise betrat in just diesem Moment Bragg den Raum. Sie straffte die Schultern und lächelte ihn an, wobei sie sich wie ein auf frischer Tat ertappter Dieb vorkam.
Prüfend glitt sein Blick von ihrem Gesicht zum Schreibtisch, als ob er genau wusste, woran sie gedacht hatte. Und auch sein Lächeln war verhalten, fast unwillig. „Guten Morgen, Francesca. Ich dachte schon, du hättest uns vergessen.“
Vor lauter Nervosität gelang es ihr nicht, sein Lächeln zu erwidern. „Der Vormittag war so schnell vorüber. Aber natürlich habe ich nicht vergessen, dass du meine Aussage brauchst.“ Eindringlich hielt sein Blick dem ihren stand, und sie gab es auf, Konversation zu machen. „Rick! Ist das schon der Bericht von Heinreich?“
„Ja.“ Er musterte sie. „Du siehst müde aus, Francesca. Hast du überhaupt geschlafen?“
Als sie die Sorge in seinen Augen sah, schmolz sie dahin. Sie erinnerte sich an all das Gute in ihrer Beziehung und vergaß die unangenehme Situation, in der sie sich jetzt befanden. Aufrichtig antwortete sie: „Wie könnte ich? Ich war Daisys Freundin, zumindest bis vor kurzem, und trotz einiger Peinlichkeiten habe ich ihr niemals etwas
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