Es war einmal in New York / Nie wieder sollst du lieben
als der Mann zu ihr aufsah.
Er stand auf und schloss das Notizbuch. „Ja, der bin ich. Wir reparieren nicht nur die besten Uhren, Miss, sondern auch die ausgefallensten Modelle, wenn ich das anfügen darf.“ Sein Gesicht, das ein wenig erschöpft wirkte, hellte sich auf, als er bemerkte, dass sie nichts in der Hand hielt und sie folglich auch nichts reparieren lassen wollte. „Wir verkaufen auch Uhren, darunter sogar Modelle aus der Schweiz.“
Ihr waren bereits die vielen ausgestellten Uhren aufgefallen, die von unterschiedlichster Größe waren und eine Vielfalt von verschiedenen Zifferblättern und Zeigern aufwiesen, wie sie sie noch nirgends gesehen hatte. „Es tut mir leid, Sie enttäuschen zu müssen, aber weder habe ich eine Uhr, die repariert werden müsste, noch benötige ich eine neue Uhr“, sagte sie reumütig. „Ich bin Kriminalistin, Sir, und ich bin auf der Suche nach Ihrem Angestellten Sam Wilson. Wenn Sie nichts dagegen haben, würde ich ihm gern einige Fragen stellen.“
Der Uhrmacher horchte auf. „Ich bin Sam Wilson“, entgegnete er.
Francesca verbarg ihr Erstaunen, so gut sie konnte. Wilson musste mindestens fünfzehn Jahre älter sein als Francis, zudem wirkte er überraschend unscheinbar. „Sie sind Francis O’Learys Verlobter?“
„Ja, der bin ich.“ Große Sorge zeichnete sich in seinen Gesichtszügen ab. „Ist Francis etwas zugestoßen?“
„Nein, es geht ihr gut“, versicherte sie ihm schnell. „Ich sprach gestern mit ihr bei Lord and Taylor.“ Sie fragte sich, wie Sam wohl reagieren würde, sollte er jemals die Wahrheit über seine Verlobte herausfinden, die nach dem Gesetz immer noch verheiratet war.
Sichtlich erleichtert, aber blass im Gesicht setzte Wilson sich wieder hin.
„Es tut mir leid, wenn ich Sie so erschreckt habe“, erklärte Francesca, die sich den Mann nun genauer ansah. Er war von großer Statur, aber wohl ein wenig unter sechs Fuß. An einem Wandhaken hing ein Jackett, das zu seiner Hose passte, also trug er Anzüge. Dieser war aus einem braunen Tweed, jedoch nicht von der besten Sorte. Ihr Blick wanderte zu seinen Händen.
Er trug keinen Ring, und seine Finger waren die eines Mannes, der ein filigranes Handwerk ausübte. Es waren fast zierliche Hände mit schmalen, langgliedrigen Fingern, die nichts von denen eines gewöhnlichen Arbeiters hatten.
„Stimmt denn etwas nicht?“, fragte Wilson.
„Ich muss Ihnen einige Fragen über den schrecklichen Überfall auf Francis stellen“, sagte sie.
„Ich sprach bereits mit der Polizei. Sie sind Kriminalistin, sagten Sie?“ Der Mann hatte sich spürbar beruhigt, und jetzt klang er sogar ein wenig ungläubig.
Sie reichte ihm ihre Visitenkarte. „Ich arbeite bei diesem Fall mit der Polizei zusammen“, erklärte sie. „Wie lange kennen Sie Francis bereits?“
„Wir sind uns im März begegnet.“
Dass er beim Reden sein Kinn rieb, ließ Francesca aufmerksam werden. War es ein Zeichen für Nervosität? „Und wie lernten Sie sich kennen?“
„Auf der Straße.“ Seine Miene hellte sich auf. „Es regnete, und jeder versuchte, sich irgendwo unterzustellen. Es war sehr kalt, müssen Sie wissen. Wir stießen zusammen, als wir im Eingang eines Lebensmittelgeschäfts Zuflucht suchen wollten. Sie war so hübsch … Ich entschuldigte mich, so gut ich nur konnte, und ehe wir uns versahen, saßen wir in einem kleinen Restaurant bei einer Tasse Kaffee zusammen.“
Während er redete, ließ Francesca ihren Blick wieder durch das Geschäft schweifen. Auf dem Boden lag ein schöner Teppich,zwei wahrscheinlich neue Sessel standen vor einem großen Wandspiegel. Im Ladenlokal verteilt standen Dutzende von Uhren, die zum Verkauf angeboten wurden. Ein Mann wie Sam Wilson bedeutete für Francis eindeutig einen Schritt in bessere Verhältnisse als jene, in denen sie momentan lebte. „Sie ist wirklich hübsch, sie haben Glück, Sir“, pflichtete sie ihm bei. „Und nun sind Sie beide tatsächlich verlobt.“
Er nickte, war aber unverändert bleich. „Ich wollte eigentlich nicht noch einmal heiraten. Ich habe einen erwachsenen Sohn und eine Enkelin. Meine Frau starb vor einigen Jahren an Darmkrebs. Als dann Francis überfallen wurde, wurde mir bewusst, wie sehr ich sie liebe.“ Er begann leicht zu zittern, so offensichtlich aufgewühlt war er.
„Haben Sie sie am Tag des Überfalls gesehen?“, fragte sie.
„Ich brachte sie nach Hause“, antwortete er leise. „Es war vor zwei Wochen, am siebten April,
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