Es wird Dich rufen (German Edition)
Türen schließlich geöffnet hatte.
»Kommen Sie denn nicht mit?«
»Ich komme gleich nach. Für den ersten Eindruck ist es besser, wenn Sie alleine sind, junger Freund. Setzen Sie sich auf eine der Holzbänke und versuchen Sie, den Geist des Ortes zu spüren!«
»In Ordnung. Ich versuche es, Jean.«
Mike war höchstens zwei Schritte in die Kirche hineingegangen, da fiel ihm auch schon eine scheußliche, abschreckende Teufelsstatue unmittelbar neben dem Eingang auf.
Der knapp ein Meter hohe Dämon nahm eine äußerst seltsame und ungemütliche Haltung ein.
Verkniffen kauerte er da und starrte mit großen Augen auf den schachbrettartig gemusterten Boden. Sein Mund war weit aufgerissen. Zwei Hörner traten aus seiner Stirn hervor. Daumen und Zeigefinger seiner rechten Hand waren zu einem Kreis geformt, als hielte er darin einen unsichtbaren Gegenstand fest. Die andere Hand lag mit ausgestreckten Fingern auf seinem Oberschenkel.
»Das ist der Asmodeus!«, erklärte Jean. »Er ist ein Wächter-Dämon, der Hüter der Schätze des Salomonischen Tempels. Lassen Sie sich nicht erschrecken von dem armen Tropf! Er tut Ihnen nichts!« Das war leicht gesagt. Selbst heute noch bot der Dämon einen furchtbaren Anblick. Wie schlimm musste der Teufel erst zu Saunières Zeiten auf die frommen Besucher des Gotteshauses gewirkt haben? Und was mochte sich der Priester dabei gedacht haben, ihn ausgerechnet an einer solch zentralen Stelle zu platzieren?
Zumindest war Mike jetzt klar, warum über dem Kirchenportal vor einem »schrecklichen Ort« gewarnt wurde.
Der Asmodeus trug auf seinem Rücken ein muschelförmiges Weihwasserbecken, das in eine Tragfläche mündete, die von zwei goldenen Salamandern gehalten wurde.
Im Zentrum des Beckens befand sich ein mit roter Farbe ausgefüllter Kreis, in dem man deutlich die Buchstaben »BS« lesen konnte. Ein wenig oberhalb davon war über die gesamte Breite der Statue ein Schriftzug angebracht: »Par ce signe tu le vaincras«. Durch dieses Zeichen wirst du ihn besiegen.
Einer von vier Engeln oberhalb des Dämons deutete mit seiner Hand darauf. Hinter ihnen erhob sich ein mächtiges keltisches Kreuz, also ein Kreuz, dessen äußere Spitzen durch einen Kreis miteinander verbunden waren.
Am gegenüberliegenden Ende der hinteren Kirchenwand war eine Nische in das Mauerwerk eingearbeitet. Auf einem kleinen Sockel, der die beiden griechischen Buchstaben Alpha und Omega trug, hatten die Statuen von Jesus und Johannes dem Täufer ihren Platz gefunden.
Jesus nahm seltsamerweise die gleiche Körperhaltung ein wie der Teufel, nur spiegelverkehrt.
Zwischen Asmodeus und Jesus erstreckte sich ein riesiges Relief, das fast die gesamte Fläche der hinteren Kirchenwand bedeckte. Es zeigte Jesus, wie er auf einem Berg stand, der mit Rosen übersät war, sowie mehrere Menschen, die seiner Predigt lauschten. Zu Füßen des Berges befand sich ein Rucksack, aus dessen aufgeschlitzter Mitte ein Goldbarren hervortrat, auf dem ein Templerkreuz eingraviert war. Über das Relief spannte sich ein ausgedehnter Rundbogen, dessen Musterung Mike deutlich an eine typische DNS-Doppelhelix erinnerte.
Hinter Mike fiel die Tür dumpf ins Schloss. Jean hatte sie geschlossen, nachdem er das Gotteshaus ebenfalls betreten hatte.
Wortlos blieb er zunächst an der hinteren Wand stehen.
Mike setzte sich derweil in eine der vorderen Bankreihen und ließ das alte Gemäuer auf sich wirken. Es schien ihm wie ein fast vertrauter Ort, der doch so fremd und unwirklich war.
Das knarrende Holz, auf das er sich niedergelassen hatte, begann leicht zu schwanken.
Die kleine Kirche sah anders aus als alles, was der junge Journalist bisher an sakralen Gebäuden gesehen hatte. Hätte er sie seinen Lesern beschreiben sollen, wäre ihm das Wort »kitschig« als erstes in den Sinn gekommen.
Abbé Saunière hatte sein Gotteshaus äußerst farbenfroh gestaltet. Die Wände waren mit kunstvollen Ornamenten und Symbolen verziert. Links und rechts der Sitzreihen blickten mehrere Heiligenstatuen auf den Mittelgang des Kirchenschiffes herab.
»Spüren Sie schon Saunières Geist, junger Freund?«, fragte Jean. Er war auf Mike zugegangen, nachdem er ihm einige Minuten Zeit gegeben hatte, sich alles anzusehen und sich an das Ambiente zu gewöhnen.
»Es ist eine ganz besondere Energie, die von hier ausstrahlt«, betonte Jean. »Es ist die Kraft des Grals!«
Mike gewann dieser Aussage nur ein zögerliches Lächeln ab. Er wusste nicht, ob er den
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