Es wird Dich rufen (German Edition)
gewachsen. Als er diesen Garten angelegt hat, waren sie noch kaum wahrnehmbar. Damals kam auch die geometrische Grundform des Gartens wesentlich besser zum Vorschein.«
»Ist das wichtig?«, wollte Mike wissen.
»Möglicherweise«, antwortete Jean mit einem spitzbübischen Lächeln, dem eine ernste Miene folgte. »Wer weiß schon, was in dieser Geschichte wichtig ist und was nicht. Die einen meinen so, die anderen sagen so …«
»Verstehe!«, erwiderte Mike, ohne das Geringste kapiert zu haben. Der Alte streckte derweil seinen Spazierstock in Richtung des Gartens.
»Manche behaupten, es wäre ein Fehler gewesen, dass der Priester mit dieser Anlage auf sich aufmerksam gemacht hat«, bemerkte er. »Die einen glauben, dass es Neider auf den Plan rief. Die anderen sprechen von reiner Dekadenz und halten diese Lebensweise unwürdig für einen Geistlichen.«
Zumindest letztere Kritik konnte Mike mühelos nachvollziehen. Es war bestimmt nicht üblich, dass ein Dorfpriester Ende des 19. Jahrhunderts einen solch prächtigen Besitz vorzuweisen hatte und im Prinzip das Leben eines vermögenden Landadligen führte.
»Der Abbé hat noch viel mehr als das hier gekauft«, erzählte Jean weiter. »Man sagt, dass er förmlich im Geld schwamm und sich überall Grundstücke anschaffte – unter anderem dort drüben.« Jean deutete auf das Tal unterhalb des Dorfes, das Mike wegen der einzigartigen Felskaskaden, die sich in die Landschaft gruben, schon am Vorabend aufgefallen war. »Die Legende sagt, dass es dort Spalten und Grotten gibt, in denen gewaltige Schätze versteckt sind.«
»Aha, glauben Sie daran, Jean?«
Der alte Mann schüttelte resigniert den Kopf. »Unzählige Schatzsucher haben die Gegend bereits auf den Kopf gestellt – und doch hat niemand etwas gefunden, weil keiner wusste, wonach er genau suchte …« Neugierig sah er Mike an.
»Reicht Ihnen das als Antwort, junger Freund?«
»Ich würde gerne mehr über diesen Abbé Saunière erfahren. Woher kam er, was machte er, wie wurde er so reich?«
»Noch ein wenig Geduld«, bat Jean, während sie die gepflasterte Straße bis zu einem Tor aus unbehauenen Steinen hinabgingen, das in den Pfarrgarten führte.
»Das ist eines von drei Toren des heiligen Gartens«, erklärte Jean und forderte Mike nachdrücklich auf: »Sehen Sie sich um und beobachten Sie gut! Ich werde inzwischen die Eintrittskarten für das Museum besorgen. Dort kann ich Ihnen einiges zeigen, was Sie erstaunen wird!«
Mike tat, wie ihm geheißen, und versuchte sich vorzustellen, wie Saunière sein Anwesen damals empfunden haben mochte, wenn er genau dort gestanden hatte, wo jetzt auch der Redakteur sich befand: zwischen dem Pfarrhaus und dem Garten, in dessen Zentrum ein gut vier Meter hohes Jesuskreuz in der Sonne glänzte.
Jean verschwand derweil, begleitet von Mikes Blicken, in dem Gebäude neben dem Pfarrhaus, in dem die Touristik-Information untergebracht war.
Durch das kleine Fenster erkannte Mike einen improvisiert anmutenden Raum mit kleiner Verkaufstheke und einer entsprechend grimmig dreinblickenden Dame. Sie schien keinen Hehl daraus zu machen, dass sie die Besucher des Dorfes eher notgedrungen erduldete, als sie herzlich willkommen zu heißen.
Mike begann, den Garten etwas genauer unter die Lupe zu nehmen. Er stand direkt unterhalb des steinernen Torbogens an der südlichen Spitze. Der Durchgang wirkte zwar wie eine provisorische Arbeit, seine Stabilität hatte er aber dennoch im Laufe der Jahre bewiesen.
Fünf Meter dahinter befand sich eine Grotte. Auch sie bestand aus groben, naturbelassenen Steinen. In ihrer Hinterwand war eine Nische, aus der neben einer kaum zwanzig Zentimeter hohen Magdalenen-Statue Wasser hervorsprudelte.
Mike ging ein paar Schritte auf das Jesuskreuz zu.
Es thronte in zwei Meter Höhe auf einem mit zahlreichen Inschriften versehenen, großzügigen Sockel über dem Garten und war ohne Zweifel das imposanteste Gebilde hier. Die Sonnenstrahlen spiegelten sich in dem goldenen Lichterkranz, der den Christuskörper umgab.
Auf der gegenüberliegenden Seite des Pfarrgartens blickte eine ganz in Blautönen gehaltene Statue mit zum Gebet gefalteten Händen auf das Kreuz. Es war eine exakte Kopie der Marienstatue in Lourdes.
Über ihr erstreckte sich das Modell eines auf vier Säulen gestützten Kuppel-Turms.
Die Marien-Statue selbst stand auf einem Sockel mit merkwürdig ineinander verschlungenen Zeichen und den Inschriften »Mission 1891« - in diesem Jahr
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