Es wird Dich rufen (German Edition)
vergänglich. Auch das eigene Leben war davon nicht ausgeschlossen.
»Monsieur Dornbach«, sagte Jean plötzlich in einem ungewohnt förmlichen Ton. »Sie sind ein junger Journalist mit Zukunft und Perspektive. Ich hingegen bin ein alter Mann, der nicht mehr lange auf die vergessenen Brunnen dieser Welt schauen wird. Ich habe großes Wissen erlangt. Ich könnte Ihnen so viele Dinge erzählen, von denen außer mir niemand weiß. Über das Dorf, seine Geschichte, den Priester ...!« Er zögerte. »Nur eine Frage treibt mich …«
»Fragen Sie!«
»Wären Sie damit einverstanden, das, was ich Ihnen zu erzählen vermag, für die Zukunft zu bewahren?«
»Sie meinen, ob ich ein Buch darüber schreiben will?«
»Es bleibt Ihre Entscheidung, die ich nicht beeinflussen darf«, sagte Jean. »Doch meine Frage war, ob Sie mein Wissen bewahren wollen? Wie Sie das letztlich tun, bleibt ganz Ihnen überlassen.«
Mike fand Gefallen an diesem Gedanken. Er war auf den ersten Blick durchaus interessant. Zwar wusste er noch nicht allzu viel über die Vorgänge und die Historie von Rennes-le-Château, aber was er bislang gesehen und gehört hatte, das roch zumindest nach einem spannenden Stoff, der nur darauf wartete, aufbereitet zu werden.
Ein reicher Priester mit einem Geheimnis und einem Teufel, der den Eingang zu seiner Kirche bewacht – das hatte natürlich etwas Schlagzeilenträchtiges.
Intensiv überlegte Mike, ob er sich darauf einlassen sollte. So sehr ihn der Gedanke an ein solches Projekt auch reizte, ihm war noch einiges unklar. Er kannte den Alten viel zu wenig, um ihn einschätzen zu können. Wollte er sich auf seine alten Tage nur interessant machen? Oder hatte das, was er anbot, wirklich Hand und Fuß?
»Warum eigentlich nicht?«, sinnierte Mike schließlich. »Klar! Aber weshalb kommen Sie ausgerechnet auf mich? Weil ich ein Landsmann bin?«
»Meine Wahl ist sicherlich nicht ohne Grund auf Sie gefallen«, sagte Jean. »Dies sollte Ihnen als Antwort genügen.«
Warum tat Jean so geheimnisvoll? Manche Senioren hatten wohl die Angewohnheit, mehr aus einer Sache zu machen, als hinter ihr steckte, weil sie dachten, dass sie ansonsten für die Gesellschaft nicht mehr von Nutzen wären. Dies war für Mike aber nur ein seltsamer Irrglaube, den er nur bedingt nachvollziehen konnte.
»Ich bin dabei«, erklärte sich Mike nach kurzem Überlegen einverstanden.
»Ich weiß«, sagte der Alte erleichtert und streckte Mike seine Hand entgegen, der reflexartig einschlug. »Und ich will ehrlich zu Ihnen sein. Mir bleibt nicht mehr lange, um Ihnen weiterzugeben, was wichtig ist. Meine Zeit ist beinahe abgelaufen.«
»Oh, das tut mir leid!«, sagte Mike, der hinter dieser Aussage eine unheilbare Krankheit vermutete.
»Das muss es nicht«, versicherte Jean. »Aber ich rate Ihnen, sich alles zu notieren, was ich zu erzählen habe, damit Sie es nicht vergessen und das Wissen ansonsten verloren ginge.«
»Gut, dann werde ich rasch zu meinem Wagen gehen und mir etwas zu schreiben holen«, sagte Mike und löste respektvoll seine Hand aus der des anderen.
»Tun Sie das bitte, junger Freund!«, erklärte sich Jean einverstanden. »Und kommen Sie dann zum Château. Ich werde dort auf Sie warten.«
»Zum Château?«
»Es ist der Ort, an dem alles angefangen hat.«
9
»Sind schon alle da, Bruder Thomas?«
Der Großmeister hatte noch in der Nacht den inneren Zirkel, also die wichtigsten Vertreter seines Ordens und des Vatikans, zu einer außerordentlichen Sitzung in den geheimen Ratssaal des Benediktiner-Klosters zusammenrufen lassen.
Er musste sie an diesem Morgen vor allem über die neuesten Entwicklungen unterrichten. Vieles war in den letzten 24 Stunden passiert. Entscheidungen mussten getroffen und umgesetzt werden.
»Der Kardinal fehlt noch«, teilte Bruder Thomas ihm leise mit. »Er wird aber in Kürze eintreffen. Alle anderen sind bereits da.«
»Gut so.«
Der Großmeister wirkte nervös. Er hatte einige Notizen vorbereitet, die er nun eilig zusammenfaltete und in seiner Kutte verstaute.
»Dann lassen wir die Herrschaften nicht länger warten.« Gemeinsam machten sich beide auf den Weg zum Ratssaal. Er lag einige Meter vom Büro des Großmeisters entfernt. Der Weg führte durch unterirdische Verbindungsgänge der Klosteranlage, die von einem schwachen Licht nur mittelmäßig beleuchtet wurden. Niemand, außer den Mitgliedern des Ordens und einzelnen, für den Orden wichtigen Personen, kannte sie.
Der Großmeister
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