Es wird Dich rufen (German Edition)
jungen Mann sind. Er hat sie in Verwahrung genommen.«
»Dann müssen wir sie sofort zurückholen«, riet der Kardinal.
»Vor allem, Kardinal, müssen wir jetzt dafür sorgen, dass nicht noch ein Unschuldiger sein Leben verliert. Ich habe bereits die entsprechenden Maßnahmen eingeleitet und zwei Brüder abgestellt, die sich um den Schutz des jungen Mannes kümmern werden.«
»Was wird weiter geschehen?«, fragte der italienische Prior. »Wir müssen abwarten ...«, sagte der Großmeister nachdenklich.
10
Das einstmals so stolze Château war in dem kleinen südfranzösischen Dorf nicht zu übersehen. Seine vier Türme ragten weit über die Dächer der anderen Häuser von Rennes-le-Château hinaus. Seine besten Zeiten lagen allerdings schon hinter ihm. In äußerst schlechtem Zustand präsentierte es sich halb zerfallen seinen Gästen. Der Garten war zugewuchert, der Eingang durch ein großes Eisentor versperrt. Rund um das Gelände verlief ein Maschendrahtzaun.
Jean stand auf dem Hof vor dem Château. In seiner Hand hielt er eine eigenartige Kette, an der eine Art Amulett befestigt war, das sich in der Sonne spiegelte, sodass Mike darauf aufmerksam wurde. Weil er allerdings noch einige Meter entfernt war, konnte er es nicht genau erkennen.
Als der alte Mann Mike entdeckte, schob er die Kette rasch unter sein Hemd.
»Da sind Sie ja wieder!«, rief er dem Journalisten zu.
»Mit Ausrüstung!« Mike hielt Block und Stift, die er aus seinem Wagen geholt hatte, wie einen Siegerpokal in die Höhe.
Je näher Mike dem Château kam, desto deutlicher wurde der desolate Zustand des Gebäudes.
»Das sieht ja schlimm aus!«, bemerkte er.
»Ja, das tut es«, stimmte Jean zu. »Es schmerzt mich, zu sehen, wie schnell es in sich zusammenfällt. Aber daran kann keiner etwas ändern.«
»Warum denn nicht?«, fragte Mike. »Man bräuchte es doch einfach nur zu renovieren.«
»Sie haben recht. Nur befindet es sich in Privatbesitz. Die Gemeinde hat keinen Einfluss. Das ist das Problem.«
»Das ist mehr als schade!«
Mike war über die gesetzlichen Gepflogenheiten in Frankreich erstaunt. Nie hätte er gedacht, dass so etwas möglich sein könnte. In Deutschland wäre wahrscheinlich längst der Denkmalschutz aktiv geworden und hätte dafür gesorgt, dass solch ein historisches Gebäude wieder instand gesetzt wird.
»Kann man das Château denn besichtigen?«, erkundigte sich Mike neugierig.
»Nein, junger Freund«, schüttelte Jean den Kopf. »Und selbst wenn man es könnte, würde ich es Ihnen in seinem aktuellen Zustand nicht empfehlen. Soweit ich gehört habe, sind nur noch zwei Räume des Gebäudes bewohnbar, der restliche Teil ist so marode, dass es lebensgefährlich wäre, ihn zu betreten.«
»Haben Sie es denn schon einmal gesehen?«, wollte Mike wissen. »Ich meine, von innen?«
»Ja, ich war tatsächlich einmal eingeladen«, erzählte Jean stolz. »Aber das ist lange her. Damals hatte das Château noch einen anderen Besitzer, mit dem ich mich sehr gut verstand.«
»Und heute?«
»Ich kenne ihn nicht persönlich. Die Leute sagen: Der Eigentümer des Châteaus sei ein wenig sonderbar und möchte zu niemandem Kontakt haben.«
»Warum das denn?«
»Das weiß keiner so genau, junger Freund!«, erklärte Jean. »Aber das ist im Moment auch eher zweitrangig. Wichtiger ist, dass Sie die Geschichte des Châteaus kennenlernen und sich mit ihr vertraut machen.«
Mike schlug vor, dass sie sich beide auf die Mauer setzten, die den Hof umgab. Jean willigte ein. Für ihn war es ohnehin wesentlich gemütlicher, wenn er seine Schilderungen nicht im Stehen machen musste.
»Ich sagte Ihnen, dass dieses Château eng mit dem Ursprung der Geschichte zu tun hat«, begann Jean. »In diesem Château nahm sie nämlich ihren Anfang. Es ist, wie Sie sich vorstellen können, schon sehr alt und stammt vermutlich noch aus der Römerzeit. Sie müssen wissen: Rennes-le-Château war nicht immer so klein wie heute. Zur Zeit der Goten und auch später, bis ins Mittelalter hinein, war dies hier eine bedeutende Festungsstadt, die im Umland bis zu 30 000 Einwohner beherbergte.«
Das konnte sich Mike allerdings nur sehr schwer vorstellen.
»Der frühere Name von Rennes-le-Château war Rhedae, was in etwa bedeutet: Ort der vierrädrigen Fuhrwerke. Man hat in der Umgebung Gräber gefunden, die über 3 000 Jahre alt sind! Das war aber nicht alles – Forscher haben hier auch die Überreste einer gepflasterten römischen Straße entdeckt und viele
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