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Es wird Dich rufen (German Edition)

Es wird Dich rufen (German Edition)

Titel: Es wird Dich rufen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Cross
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andere.«
    Dabei mussten die absonderlichen Fehler doch auch den normalen Bürgern damals schon ins Auge gestochen sein – sofern es sich bei ihnen nicht durchweg um Analphabeten gehandelt hatte, die weder des Lesens, noch des Schreibens mächtig waren. Aber wahrscheinlich war genau das der Fall gewesen, vermutete Mike.
    Schon in der ersten Reihe stach ihm ein vollkommen deplatziertes »M« in die Augen, das ohne Not an den rechten Rand gerückt worden war und als Anfangsbuchstabe des Namens »Marie« eigentlich in die zweite Reihe gehört hätte.
    Manche Buchstaben in den anderen Reihen waren viel zu klein, andere überhöht oder unter den Lauftext graviert. Der Text war eine Mischung aus französischer und lateinischer Sprache.
    »Sehen Sie sich die letzten beiden Zeilen an!«, forderte Jean Mike auf. Dort stand in großen Lettern »REQUIES CATIN PACE«.
    »Richtigerweise müsste es heißen: ›Requiescat in pace‹ – Ruhe in Frieden«, erläuterte Jean. »Durch die merkwürdige Trennung erhalten wir hier plötzlich das Wort ›Catin‹, was nichts anderes bedeutet als Hure!«
    »Für einen Grabstein ist das aber eine seltsame Huldigung«, sagte Mike, der seinen Ohren kaum traute. Wer würde es wagen, einer adligen Frau – noch dazu an ihrer vermeintlich letzten Ruhestätte – den Titel einer Hure zu verleihen?
    »In der Tat!«, stimmte Jean zu.
    »Also ist es eine versteckte Botschaft?«, fragte Mike.
    »Man könnte es annehmen.«
    »Und Sie wissen, was es zu bedeuten hat?«
    »Junger Freund!«, sagte Jean streng. »Ich weiß vieles, aber längst nicht alles. Seit Saunière hat niemand mehr herausgefunden, was Abbé Bigou mit diesem Hinweis auf die Hure sagen wollte, verstehen Sie? Niemand!«
    Schon oft hatte Mike in den letzten Stunden das unbestimmte Gefühl, Jean wollte ihm ganz bewusst etwas verheimlichen. Jetzt war er sich dessen zum ersten Mal wirklich sicher.
    Es gab keinen einleuchtenden Grund, der es dem alten Mann erlaubt hätte, Mikes Frage so barsch zurückzuweisen.
    Warum tat er das plötzlich?
    Hatte Jean sich bis zu dem Moment, als sie über die Dokumente sprachen, noch sehr offen gezeigt, so wirkte der alte Mann inzwischen bei Nachfragen deutlich zurückhaltender und unverbindlicher.
    Ob es daran lag, dass Feline unerwartet hier aufgetaucht war? Oder wollte Jean ganz einfach nur nach Hause, weil er sich, wie er es im Hotel bereits gesagt hatte, um seinen Hund kümmern musste? Immerhin hatte er nahezu den kompletten Tag für Mike geopfert.
    Dass eine Deutung des Wortes »catin« im Zusammenhang mit dem Grabstein und dem Geheimnis möglicherweise nicht in zwei oder drei Sätzen abzuhandeln war und Jean allein deshalb schon nicht näher darauf eingehen wollte, schloss Mike nicht aus.
    Allerdings hätte er ihm das auch freundlicher beibringen können, schließlich war Mike ja kein Unmensch, der für derlei Wünsche eines alten Mannes kein Verständnis hatte.
    »Ich werde Sie noch zu dem Buchladen bringen«, sagte Jean. Er schien es plötzlich eilig zu haben. »Sehen Sie sich dort ruhig ein wenig um, junger Freund. Vielleicht finden Sie Literatur, die Ihnen helfen kann, das Thema zu vertiefen.«
    »Einverstanden«, sagte Mike. Was sollte er auch sonst tun?
    »Es ist spät geworden und ich habe noch einiges zu erledigen«, erklärte Jean seine Ungeduld. »Sie müssen mich entschuldigen, lassen Sie uns bitte morgen fortfahren!«
    Mike nickte. Er würde noch etwas in dem Laden stöbern und dann Feline beim Tour Magdala abholen.
    Als sie das Museum verließen, war die Anzahl der anwesenden Touristen weiter zurückgegangen. Nur noch vereinzelt verirrten sich um diese Zeit Menschen in den wenigen Straßen von Rennes-le-Château.
    »Das ist typisch«, bemerkte Jean. »Wie ich es Ihnen gesagt habe: Tagsüber fallen sie in das Dorf ein. Erst gegen Abend wird es wieder ruhig.«
    »Es wundert mich nicht, dass das die Bürger hier stört!«
    Von einer guten Lebensqualität konnte man unter diesen Voraussetzungen wohl eher nicht mehr sprechen.
    »Es sind schon viele von hier weggezogen, weil sie den ganzen Rummel nicht mehr ertragen haben«, räumte Jean ein. »Und ich kann alle, die das getan haben, sehr gut verstehen! Ich selbst war oft an dem Punkt, dass ich ebenfalls gehen wollte.«
    »Und warum haben Sie es nicht getan?«
    »Weil jeder Mensch eine Aufgabe zu erfüllen hat«, lächelte er sanftmütig. Mike gewann den Eindruck, dass der alte Mann seine Gesprächigkeit im Museum nur verlegt und nun

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