Es wird Dich rufen (German Edition)
beantwortete. Dass es der Anstand verlangte, mit älteren Menschen respektvoll umzugehen, war ihr schließlich schon früh anerzogen worden.
»Weshalb sind Sie hierher gekommen?«
»Ich hatte sie schon in Rennes gefragt, ob sie mich nicht begleiten will«, gab Mike an ihrer Stelle die Antwort.
»Ich dachte, Sie wären alleine hier, junger Freund?«
»Das bin – oder vielmehr – war ich auch.«
»Ich wusste zunächst nicht, ob ich mitkommen kann oder nicht«, ergänzte Feline. Sie hatten gerade die Kreuzung passiert und bogen in das letzte Wegstück ein, das nach Rennes-le-Château hinaufführte.
»Sie sind also spontan gekommen?«, hakte Jean weiter nach.
»Ja, natürlich!«, rief Feline gereizt aus. »Ich nahm an, dass ich Mike helfen könnte, weil er doch kaum französisch spricht!«
»Ich verstehe«, nickte Jean. Es war kaum zu übersehen, dass er dieser Aussage nur bedingt Glauben schenken wollte.
»Also geht es Ihnen nur um Mike?«
»Nun würde mich doch mal interessieren, was Sie das alles eigentlich angeht?«, platzte Feline der Kragen. Sie mochte es nicht, auf diese Weise ausgefragt zu werden – noch dazu von einem völlig fremden Mann. Und sie war nicht die Einzige, die es störte, auch Mike hielt es für unangebracht.
Was wollte Jean damit erreichen? Die Erklärung lag doch auf der Hand. Sie hatte sich in ihn verliebt und hatte es ohne ihn ganz einfach nicht mehr ausgehalten. War Jean tatsächlich schon zu alt, um diese Gefühle nachvollziehen zu können? Dass man aus solchen Emotionen heraus auch mal etwas an sich absolut Verrücktes unternahm?
»Warum wollen Sie das alles so genau wissen?«, fragte Mike.
»Nur so«, verzichtete der alte Mann auf eine nähere Begründung sowie auf weitere Fragen. »Verzeihen Sie, Mademoiselle! Ich wollte nicht aufdringlich erscheinen. Sie sind einfach eine interessante junge Dame. Das findet man hier nicht so oft.«
19
Obwohl sich der Nachmittag seinem Ende entgegenneigte, waren noch immer eine ganze Menge Menschen in den Straßen von Rennes-le-Château unterwegs.
Mike hatte Glück, dass er unter einem Baum nahe des Tour Magdala noch eine Parklücke entdeckte, in der er sein Fahrzeug abstellte.
»Ganz nett hier!«, sagte Feline, als sie ausgestiegen war. Der stärker gewordene Wind sorgte dafür, dass die Hitze nicht mehr ganz so schlimm wie am Mittag war.
»Sie sind zum ersten Mal in Rennes-le-Château?«, erkundigte sich Jean höflich.
»Muss sie!«, warf Mike mit einem Augenzwinkern ein. »Vor zwei Tagen kannte sie noch nicht einmal den Namen des Ortes!«
»Nein?« Jeans Frage klang zweifelnd.
»Leider nein«, bestätigte Feline. »Das ist das erste Mal, dass ich im Süden Frankreichs bin.«
»Nun, Sie sind ja noch jung«, bemerkte Jean trocken. »Vielleicht haben Sie noch ab und an die Gelegenheit dazu.«
»Bestimmt!«
Mike hatte inzwischen den Wagen abgeschlossen.
»Wollen wir uns noch den Grabstein ansehen?«, fragte er Jean. »Aber natürlich, junger Freund!«
Während Mike vor Neugierde darauf brannte, zeigte sich Feline von dieser Idee nicht sonderlich begeistert. Weshalb sollte sie an diesem schönen Ort ausgerechnet einen Grabstein betrachten? Das konnte sie auf jedem x-beliebigen Friedhof tun. Dafür war sie nicht die weite Strecke hierher gefahren!
»Geht ruhig!«, sagte sie und deutete auf jene Bank unterhalb des Tour Magdala, an der sich Mike und Jean einen Tag zuvor zum ersten Mal begegnet waren. »Ich werde lieber hierbleiben, mich da vorne ein wenig in die Sonne setzen und darauf warten, bis ihr wieder zurück seid.«
»Einverstanden«, sagte der Journalist.
Die beiden Männer sahen ihr nach, bis sie sich auf die Bank setzte, auf der es sich bereits ein Mann mit einer Zeitung in der Hand gemütlich gemacht hatte.
»Der Grabstein ist im Museum!«, sagte Jean, zog die zwei Karten aus seinem Jackett, die er am Morgen bei der Touristik-Information besorgt hatte, und deutete auf sie. »Damit kommen wir rein!«
Das Museum des kleinen Dorfes war in dem alten Pfarrhaus neben der Kirche untergebracht. Ein steinerner Rundbogen führte in den Innenhof, der die Villa von dem Pfarrhaus trennte.
Das Gebäude schien seit Saunières Zeiten nicht mehr renoviert worden zu sein. In den Räumen fiel vereinzelt bereits der Putz von den ehemals weiß gestrichenen Wänden.
Mike störte das nicht – im Gegenteil! Denn im Gegensatz zu herkömmlichen Museen, die in modernen Bauten untergebracht waren, vermittelte dieses hier noch den Charme
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