Es wird Dich rufen (German Edition)
hatten. Am Ende war es immer nur ein kleiner Bruchteil, der tatsächlich von den verschiedenen Fernseh- und Hörfunkstationen gesendet und von den Printmedien abgedruckt wurde. Und genau das war es, was Jean meinte: Redakteure trafen für ihre Konsumenten die Wahl darüber, was interessant und was weniger wichtig war.
»Sie haben Recht, Jean!«, gab Mike kleinlaut zu.
»Einsicht ist der erste Weg zur Besserung«, sagte der alte Mann. »Aber es ist leider so, dass Sie alleine nichts daran ändern können – und Sie müssen es auch nicht. Sehen Sie, die Berichterstattung ist das geringste Problem, das unsere Gesellschaft hat. Letztlich ist es zu allen Zeiten dasselbe Spiel gewesen. Es gilt, die Masse zu mobilisieren, ihre Gedanken auszuschalten und diese Situation für die eigenen Machtzwecke auszunutzen! Nur ein Mensch, der nicht nachdenkt und kritisch hinterfragt, ist ein guter Mensch, denn nur solche Leute können manipuliert werden. So ist es immer gewesen und so wird es wohl auch immer sein. Wer die Masse für sich einnehmen kann, hat gewonnen! Das große Ganze zählt. Wer nicht mehr kann, bleibt auf der Strecke. Opfer hat es schließlich immer gegeben. Denken Sie einmal darüber nach!«
»Das werde ich tun!«, versprach Mike noch einmal, auch wenn seine Antwort mehr ein Reflex war als reiflich überlegt.
Jean hatte ihn mit seinen philosophischen Ansichten fast überfahren. Mit Worten, die sich in Mikes Gehirn eingebrannt hatten, wenngleich es einiges an Zeit brauchen würde, sie zu verarbeiten.
»Und nun muss ich Sie alleine zurücklassen«, sagte Jean und verabschiedete sich. »Schauen Sie sich in dem Laden etwas um! Vielleicht finden Sie das eine oder andere Buch!«
»Ja, aber – verstehen die mich denn?«, fragte Mike, der gehofft hatte, dass Jean ihm noch zur Verfügung stünde, falls er Fragen an den Buchhändler haben und dabei an der Sprachbarriere scheitern sollte.
»Keine Sorge!«, rief Jean, bereits im Gehen begriffen. »Ich kenne Michelle schon so lange. Sie spricht sehr gut deutsch! Fragen Sie einfach nach den Büchern von Boudet und verlangen Sie den Sprachführer!«
»Und wie kann ich Sie wieder erreichen, Jean?«
»Wenn Sie nach Rennes-le-Château kommen, werde ich Sie sehen!« Mehr hatte der alte Mann ihm nicht mitzuteilen. Kein Hinweis auf seine Adresse, keine Telefonnummer und auch keine andere Möglichkeit, ihn zu kontaktieren.
20
»Da sind Sie ja!«
Der Großmeister wirkte erleichtert, als er den alten Mann endlich auf sich zukommen sah.
»Entschuldigen Sie, Euer Eminenz! Ich habe mich verspätet.«
»Es ist nicht so schlimm, Bruder Jean«, bemerkte der Großmeister der »Bewahrer des Lichts«. Er saß auf der kleinen Bank in Saunières Garten.
Seine traditionelle Mönchskutte hatte er für den Besuch in dem kleinen südfranzösischen Dorf gegen eine blaue Jeans, ein weißes Hemd und ein schwarzes Sakko eingetauscht. Damit fiel er in der Masse der Menschen nicht auf, die sich zu dieser Jahreszeit in Rennes-le-Château tummelten.
»Ich freue mich, Jean, dass Sie meine Botschaft erhalten haben. Setzen Sie sich doch!«
Der alte Mann nahm neben dem Großmeister Platz.
»Ist er schon angekommen?«
»Ich habe mich den ganzen Tag über sehr ausführlich mit ihm unterhalten. Im Moment ist er bei Michelle im Buchladen.«
»Wie ist Ihr Eindruck?«, erkundigte sich der Großmeister. »Denken Sie, er hat das Zeug dazu?«
»Das kann ich noch nicht beurteilen«, sagte Jean kritisch. »Er hat zweifellos die richtigen Anlagen, aber ich bin mir noch nicht schlüssig, ob er sie auch zu nutzen weiß. Er ist sich dessen noch nicht bewusst!«
»Helfen Sie ihm dabei!«, bat der Großmeister. »Wir müssen möglichst bald wissen, ob er das Amt übernehmen kann.«
»Ich weiß«, stimmte Jean teils wehmütig, teils erleichtert zu. Ihm war klar, was dies für ihn selbst bedeutete: Wenn Mike Dornbach an seine Stelle trat, dann würde für ihn die Zeit gekommen sein, sich von dieser ehrwürdigen Aufgabe zurückzuziehen.
Vor diesem Moment hatte Jean Angst, gleichwohl er auch stolz darauf war, dieses wichtige Amt so lange ausgeübt zu haben. Er hoffte, dass ihm damit seine Fehler der Vergangenheit endgültig vergeben waren.
»Halten Sie mich auf dem Laufenden, Bruder Jean«, bat der Großmeister. »Ich werde vermutlich eine Weile hierbleiben.«
»Sie wohnen wieder in der Villa?«
»Ja«, bestätigte der Großmeister. »Das Zimmer ist bereits hergerichtet worden.«
Jeans Blicke fielen auf die
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