Escape
hatte, hielt ich meine Hände vor die Lüftung und wünschte insgeheim, ich hätte im Einkaufszentrum ein paar Handschuhe erstanden. Und den Schal hätte ich auch gern gehabt. Irgendwie hätte ich mich meiner Mutter dadurch näher gefühlt.
Aber vielleicht war dazu ja gar kein Schal nötig. Vielleicht kam ich auch auf anderem Wege zu ihr.
Ich nahm ihr Tagebuch aus dem Seitenfach und schlug ihr Rezept für Kartoffelpüree mit Knoblauch auf. Mit rotem Stift hatte sie ein Herz oben auf die Seite gemalt und eine kleine Notiz daruntergekritzelt. Arthurs Leibgericht , stand dort. Mittlerweile betrachtete ich jeden Eintrag mit neuen Augen und suchte nach versteckten Hinweisen.
Ich wollte Antworten finden. Wieso sie gegangen war. Ob sie noch an mich dachte.
Wenn sie überhaupt noch lebte, mahnte ich mich selbst.
Wie immer fuhr Sam, aber Nick behielt die Route im Blick. Der Jeep holperte, als wir vom Highway kommend in die Ax Lane einbogen und der Asphalt abrupt in Schotter überging. Ein entgegenkommender Lkw schleuderte im Vorbeifahren Steinchen gegen die Fahrertür.
»Verdammte Hinterwäldler«, entfuhr es Nick von der Rückbank.
»So was behältst du besser für dich, wenn wir da sind«, sagte Sam und brachte Nick damit zum Verstummen.
Hinter Nummer 2757 verbarg sich ein Wohnwagen, die weiße Außenverkleidung stand an einigen Stellen ab wie geöffnete Fensterläden. Mehrere Autos und Trucks parkten davor. Auf dem hinteren Teil des Geländes befand sich eine Garage, die doppelt so groß wie der Wohnwagen war und fast das gesamte Grundstück einnahm. Rauch kam durch den Schornstein, der aus dem Dach ragte.
Sam parkte neben einem schwarzen Truck.
»Gehen wir alle rein?«, fragte Trev mit einem Seitenblick zu mir. Auch wenn er es gut meinte, ich würde sicher nicht einfach im Wagen bleiben. Nicht mitten im Nirgendwo.
»Wir wissen nicht, womit wir es hier zu tun haben«, sagte Sam, »daher halte ich es für besser, wenn wir zusammenbleiben.«
Der Wohnwagen lag in völliger Dunkelheit, doch aus der Garage dröhnte Musik, weshalb wir sofort Letztere ansteuerten. Sam klopfte an die Metalltür. Ich zählte die Sekunden, die es dauerte, bis jemand öffnete, und hoffte dabei, dass die laute Rockmusik das Klopfen vielleicht einfach übertönt hatte. Ich wurde unruhig.
Sam wollte gerade ein weiteres Mal klopfen, als sich die Tür öffnete. Ein Endvierziger sah uns prüfend an, ein zotteliger, grauer Pferdeschwanz hing ihm über die Schulter. Seine blutunterlaufenen Augen verweilten viel zu lange auf mir. Früher hätte mich so ein Blick total nervös gemacht, jetzt machte er mich nur wütend. Ich nahm eine sehr aufrechte Haltung ein und schob das Kinn hoch.
Du musst selbstbewusst wirken. Das hatte mein Kampflehrer immer gesagt. Die Starken machen immer Jagd auf die Schwachen.
»Ja?«, rotzte der Typ. »Was wollt ihr?«
»Bist du Tommy?«, fragte Sam.
Die Augenbrauen des Mannes zogen sich misstrauisch zusammen. »Vielleicht. Wieso?«
»Wir brauchen Waffen.«
Er lachte. »Pass mal auf, mein Junge. Hier gibt's keine Waffen. Jetzt lauf schnell nach Haus zu Mami.« Der Mann, offenbar wirklich Tommy, wollte die Tür schließen, doch Sam stellte seinen Fuß in den Rahmen.
Ich machte mich auf eine Schlägerei gefasst.
»Was soll der Scheiß -«
»Siehst du den Jeep da?«, fragte Sam.
Tommy reckte den Hals. »Ja, wieso?«
»Der ist geklaut.« Sam zog das Handy aus der Brusttasche seines Mantels. »Und weißt du was? Ich glaube, du bist ein illegaler Waffenhändler. Noch dazu verkaufst du Drogen. Ich rieche hier doch Gras, oder?« Sam schnupperte demonstrativ. »Wenn ich der Polizei melde, dass hier ein gestohlenes Fahrzeug steht, was werden die wohl noch so bei euch finden?«
Tommy stieß mit dem Finger nach Sam. »Jetzt hör mal zu, du kleiner Mistkerl -«
»Wir brauchen nur ein paar Pistolen.«
So wie der Wohnwagen aussah, konnte Tommy sicher Geld brauchen. Und ganz sicher wollte er nicht, dass hier Polizisten rumschnüffelten. Er öffnete die Tür ein wenig weiter. »Hast du Bargeld dabei?«
Sam zog ein ganzes Bündel aus seiner Tasche und hielt es hoch.
Tommy schnaubte. »Na los, aber kommt bloß nicht auf dumme Gedanken.«
Also betraten wir nacheinander die Doppelgarage. Darin waren zehn Leute, Tommy eingerechnet. Ein paar Kerle standen um einen Computer und schauten sich Videos im Internet an. Eine kleine Gruppe pokerte an einem Klapptisch. Zwei davon waren Frauen, vielleicht Mitte dreißig. Die linke von
Weitere Kostenlose Bücher