ESCORTER (German Edition)
Stöhnen entriss. Der Druck war fast unerträglich. Stiche, wie von kleinen Nadeln jagten durch ihre Pupillen. Und plötzlich veränderte sich ihr Blickfeld, die Augenbinde verlor an Substanz, wurde durchscheinend wie eine verschmutzte Scheibe. Der Escort ließ sie sehen. Sie blickte sich um. Weiß gekachelte Wände, mehrere Rollcontainer aus Edelstahl. An der Decke hingen UV-Röhren neben normalen Deckenstrahlern.
Das war übel.
Ein Escort reagierte äußerst empfindlich auf UV-Licht. Ebenso wie menschliche Haut. Vorsichtig tastete sie den Untergrund ab, auf dem sie lag. Eine glatte, kühle Metallplatte. An Schienen befestigte Ledergurte fixierten ihre Arme und Beine. Ein OP-Tisch. Sie warf einen Blick zum Eingang. Im Türrahmen saß ein Mann auf einem Klappstuhl. Er war groß und sehr dünn. Das schwarze Haar trug er millimeterkurz, sodass seine Kopfhaut weiß hindurch schimmerte. Scheinbar gelangweilt spielte er mit etwas Glänzendem herum, stülpte es über den Mittelfinger und wackelte hin und her. Desoderia erkannte ihren Fingerhut. Nach einer Weile schien ihn das Gewackel zu langweilen. Er nahm den Fingerhut ab und stach sich in die Hand, ganz leicht nur, doch es reichte, um ihn zu verletzen. Überrascht betrachtete er das Blut an seinem Finger, warf Desoderia einen kurzen Blick zu und lutschte es dann schnell ab. Desoderia schnaubte. Der Kerl war ein Einfaltspinsel, der Dämonenjäger spielte. Mit einem einzigen Hieb könnte sie ihm das Genick brechen und würde es auch, sollte er so dumm sein und ihre Fesseln lösen. Seufzend schloss sie die schmerzenden Lider. Der Escort zog sich zurück. Für den Moment zumindest. Dunkelheit hüllte sie ein, in der sich ihre Gedanken entfalten konnten. Allen voran die Frage, warum die Gideonisten sie am Leben ließen. Die Escorter und die Gideonisten waren beide bestrebt, das Gleichgewicht zu stören und den Jahrtausende alten Kampf zwischen Himmel und Hölle für sich zu entscheiden. Es hatte Zeiten gegeben, in denen die Escorts den Sieg davonzutragen schienen, während der Inquisition oder im Dritten Reich, doch mittlerweile entschieden die Gideonisten mehr und mehr Kämpfe für sich
Warum also ließen sie eine Escort-Trägerin am Leben? Hatten sie nach zweitausend Jahren die Strategie gewechselt? Erforschen statt vernichten? Nun, sie würde es bald erfahren. Sehr bald sogar, wie ihr die sich nähernden Schritte verdeutlichten. Sie wusste nicht, ob sie ängstlich oder zornig sein sollte. Der Escort war definitiv zornig, doch der menschliche Teil von ihr erschauerte unter der Angst, die sich in ihr Herz stahl wie ein Dieb. Die Gideonisten waren ebenso gottesfürchtig wie unbarmherzig. Sie würden sie nicht schonen.
Mach mich stärker , beschwor sie ihren Escort. Sonst werden wir beide sterben .
»Sie ist wach«, sagte der rasierwasserduftgetränkte Wächter.
»Gut«, antwortete ein Mann mit tiefer, melodischer Stimme. »Schalte das UV-Licht an und nimm ihr die Augenbinde ab, aber achte darauf, dass sie nicht nach dir schnappt. Auch gefangen sind sie noch gefährlich.«
»Zumindest solange der Escort in ihnen haust«, fügte eine Frau hinzu. Desoderia erkannte sie als die Frau aus dem Tunnel.
»Wo sind die Brillen?«, fragte der Aufpasser.
»Im Schrank, dritte Schublade von oben«, antwortete die Frau. Jemand hantierte an einem der Rollcontainer herum. Es klickte leise, dann ein Summen, als würde ein Mückenschwarm unter der Decke schweben. Hitze traf auf ihren gefesselten Körper. Kurz darauf trat jemand an das Kopfende des Tisches und zog die Augenbinde nach oben. Desoderia blinzelte in die blau-weiße Helligkeit. Der Escort zog sich eilig zurück, verschwand in den Tiefen ihres Leibes, während das UV-Licht erbarmungslos auf sie hinab brannte. Die Frau beugte sich über sie, eine Schutzbrille auf den Augen und ein breites Grinsen auf den Lippen. »Na, wie gefällt dir unsere Beleuchtung?«
Elende Schlampe. Desoderia setzte ihren berüchtigten Eisblick auf und würzte ihn mit einem Hauch Mordlust. Er erzielte den gewünschten Erfolg. Die Frau hörte auf zu feixen und wich zurück. »Du kannst mich hasserfüllt ansehen, solange du willst, bald schon wirst du schreien vor Qual«, giftete sie.
»Sei still, Viola«, befahl der Mann mit der tiefen Stimme. Er bot eine beeindruckende Erscheinung. Riesig, die Haut so schwarz wie eine sternenlose Nacht. Tiefe Falten zerfurchten seine Stirn und an den Schläfen zeigten sich erste graue Haare. Auch er trug eine
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