ESCORTER (German Edition)
Schmerz dämpfte, schrie sie auf vor Qual. Mittlerweile hatte der riesige Kerl den OP-Tisch erreicht und schnappte nach ihr. Erfolglos versuchte sie, aufzustehen. Nach dem tagelangen Liegen unter UV-Licht weigerten sich ihre Beine, sie zu tragen. Der Escort bäumte sich auf, zwang ihren Körper hoch, doch waren ihre Beine einfach zu schwach. Hektisch blickte sie sich um. Der Kampf war noch nicht entschieden, die Gefahr noch nicht gebannt.
»Wir müssen raus hier«, rief ein Escorter namens Oliver, mit dem sie schon gemeinsam Aufträge erfüllt hatte. »Holt Desoderia.«
Der hünenhafte Gideonist umrundete den Tisch. Auf dem Hinterteil rutschte Desoderia rückwärts.
»Verflucht, Oliver, ich brauch hier deine Hilfe«, schrie sie.
Aus den Augenwinkeln sah sie, wie Oliver auf sie zu stürmte. Der Gideonist zog ein Jagdmesser aus seinem Gürtel und stürzte sich auf sie. Mit letzter Kraft schwang sie sich herum und trat ihm zwischen die Beine. Er schrie auf. Die Klinge bohrte sich in ihren Oberschenkel. Schwarze Punkte befleckten ihr Gesichtsfeld. Dann wurde alles dunkel.
* * *
Nur langsam kehrten Desoderias Sinne in die Realität zurück. Der Boden unter ihr bewegte sich und sie spürte Hände, die sie trugen. Ihr Körper stand in Flammen.
»Breitet die Decke aus und legt sie drauf, vorsichtig«, hörte sie Oliver sagen. Die Ohnmacht lockte sie mit Vergessen und Gefühllosigkeit, doch Neugier und Vernunft erwiesen sich als stärker, zumindest vorübergehend. Sie öffnete die Lider einen Spaltbreit, blinzelte in wohltuendes Dämmerlicht. Sie lag auf dem Boden eines Transporters. Oliver kniete neben ihr und tastete nach ihrem Puls.
»Hey. Da ist ja unsere Kämpferin«, sagte er und schnickte die blonden Ponyfransen aus der Stirn, die ihm ständig in die Augen fielen.
»Durst«, krächzte Desoderia.
Er reichte ihr eine Wasserflasche. »Trink in kleinen Schlucken«, mahnte er und dann: »Du siehst scheiße aus.« Keuchend schaffte sie sich auf die Ellenbogen. »Zur Hölle, ich fühl mich auch scheiße.«
Marina, eine kleine, muskulöse Escorterin, deutete nach draußen. »Da kommen die anderen.«
Desoderia rappelte sich hoch und betrachtete ihre Hände. Die Haut war roh und verbrannt. Kleine Fetzen lösten sich von ihren Fingern. Vorsichtig nahm sie das Wasser und trank. Nur mit Mühe konnte sie ihre Gier bezwingen, um die Flasche nicht in einem Zug hinunterzustürzen.
»Okay, es geht los«, sagte Marina. »Desoderia, leg dich wieder hin. Wir versorgen deine Wunden, sobald wir im Unterschlupf sind.«
Desoderia blickte nach draußen. Drei Escorter rannten über den Gehweg auf den Transporter zu und sprangen hinein. Der Letzte warf die Tür zu. Derweil kletterte Marina auf den Fahrersitz, startete den Wagen und brauste los.
Desoderia spürte den Escort durch ihren Körper huschen, den Schwindel und die Übelkeit vertreibend. Die Schmerzen nahm er jedoch nicht. »Scheiße tut das weh«, stöhnte sie.
Oliver wandte sich nach vorn zum Fahrersitz. »Haben wir was gegen die Schmerzen dabei?«
»Nein. Sie muss noch eine Weile durchhalten«, sagte Marina.
Desoderia keuchte. »Okay. Dann beeilt euch.«
Bei jeder Berührung und jedem Ruckeln hatte sie das Gefühl, als würde ihr jemand die Haut vom Leibe ziehen. Immer wieder fiel sie für ein paar Minuten in gnädige Bewusstlosigkeit, bis ein Schlagloch oder eine Straßenschwelle sie brutal an die Wirklichkeit zurück schleuderte. Endlich hielten sie inne. Oliver öffnete die Tür. Desoderia richtete sich auf und blinzelte ins Licht. Wie erwartet parkten sie vor einem alten, verlassenen Backsteinhaus. Fast alle Fensterscheiben waren eingeschlagen, die Wände mit Graffiti besprüht. Ein breites Brett diente als provisorische Tür.
»Kannst du laufen?«, fragte Oliver.
Sie nickte. »Ja, verdammt.«
Gemeinsam mit einem zweiten Escorter half er Desoderia hinaus und führte sie die Stufen hinauf zum Eingang. Sofort wurde die Tür geöffnet. Modrige, feuchtkalte Luft schlug ihr entgegen. Tief sog Desoderia den Atem ein, nahm den Geruch in sich auf wie eine heilende Medizin. Dämonen liebten alte, verlassene Gebäude. All die Dramen, Tode und Qualen ehemaliger Bewohner, die sich wie eine ewige Erinnerung in das Mauerwerk gefressen hatten, konnten sie spüren und genossen es. Trotz ihrer Schmerzen musste Desoderia grinsen. Sie hatte überlebt.
Staub glitzerte in den vereinzelt hereinfallenden Strahlen wie winzige Feen. Oliver dirigierte sie um morsche
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