ESCORTER (German Edition)
Während David den Zündschlüssel drehte, ertappte sich Doreé bei der Befürchtung, dass die alte Kiste nicht anspringen würde. Sie hatte wohl zu viele Gruselfilme gesehen, wo die Autos prinzipiell den Dienst versagten, sobald es ernst wurde. Auf dem Weg in die Berge erklärte David, was es mit dem Band auf sich hatte. Er wusste nicht viel darüber, nur dass es sich um eine unlösbare Verbindung handelte, die ihrer Mutter gestattete, an Doreés Wahrnehmung teilzuhaben und so ihren Aufenthaltsort zu erspüren.
Erschrocken riss Doreé die Augen auf. »Wie denn?«
»Es funktioniert ähnlich dem Heiß-Kalt-Prinzip. Sie fühlt es, wenn du in der Nähe bist.«
Doreé verzog das Gesicht. »Das ist gruselig. Was können wir dagegen tun?«
David seufzte und wich ihrem Blick aus, während er antwortete. »Nichts. Das ist ja das Problem. Die Verbindung löst sich nur mit dem Tod.«
Ein eisiger Klumpen sackte in Doreés Bauch. »Was? Willst du damit sagen, dass meine Mutter für den Rest meines Lebens wissen wird, was ich fühle und mich jederzeit aufspüren kann? Das kann unmöglich sein.«
»Es ist aber so, tut mir leid, Doreé. Du bist erst frei, wenn sie stirbt«, entgegnete David. »Wir können die Verbindung schwächen, indem wir Zeugnis ablegen.«
Doreé war speiübel. Schlimm genug, dass sie nun ein offenes Buch für ihre Mutter war, aber zudem noch an ihren abartigen Empfindungen teilhaben zu müssen, und das lebenslang, erschütterte sie zutiefst.
Da sie nicht wollte, dass David ihr Entsetzen bemerkte, starrte sie mit tränenverschleierten Augen aus dem Fenster. Passend zu ihren Gefühlen rückten die Felsen zu beiden Seiten der Straße näher, umschlossen sie, bis sie sich bedrohlich über die Straße neigten. Einzelne Buchen und Ahornbäume säumten den Weg, hochgewachsene Fichten und Kiefern wuchsen zwischen den Spalten empor, reckten sich nach dem Licht, das am Rand der zerklüfteten Felsen verharrte. Die Enge und Gewaltigkeit des Felsmassivs verstärkte Doreés Panik und sie war froh, als sie die Schlucht endlich hinter sich ließen. Jaromir dirigierte David zu einem Feldweg, der neben einem Kartoffelacker verlief. Dahinter erstreckte sich ein Laubwald, überschattet von einem Bergmassiv, dessen Spitzen mit Schnee gepudert waren. David lenkte den Wagen über Gestrüpp und wilde Wiesen, bevor er ihn am Waldrand zum Stehen brachte. Doreé stieg aus und ließ ihren Blick über die Landschaft gleiten. Wäre der Grund ihres Ausflugs nicht so ernst, hätte sie die raue Schönheit durchaus zu würdigen gewusst.
Gemeinsam trugen sie sämtliche Steine herbei, die sie finden konnten, während Jaromir sie zu einem mannshohen Hügel aufschichtete. Unbarmherzig brannte die Sonne auf sie nieder. Der Schweiß lief Doreé in Strömen über das Gesicht. Ihre Arme wurden mit jedem Stein schwerer. Während sie ihre Haare zu einem Zopf zusammenfasste, streifte David sein T-Shirt ab und arbeitete mit nacktem Oberkörper, was sie ständig dazu verleitete, ihn heimlich zu mustern. Das Spiel seiner Muskeln unter der schweißbedeckten, tätowierten Haut faszinierte sie auf eine Weise, die sie beschämte. Bilder tauchten vor ihrem geistigen Auge auf, die ganz gewiss nicht ihrer Erinnerung entstammten, ebenso wenig wie die Erregung, die sie bei Davids Anblick erfasste. Es waren die Gefühle ihrer Mutter, die sich mit ihren verwoben und sich zu einem wollüstigen Brei vermengten. Sie versuchte, die Gefühle zu verdrängen, doch immer wieder ertappte sie sich bei der Vorstellung, die Schweißtropfen von Davids Hals zu lecken, sich die Kleider vom Leib zu reißen und hier zwischen den Felsen mit ihm zu schlafen.
Nach getaner Arbeit ließ David eine Flasche Kofola herumgehen, ein stark gesüßtes Getränk, dass Doreé entfernt an Cola erinnerte. Vom stundenlangen Steinschleppen knurrte ihr Magen, doch David erklärte ihr, dass sie erst nach dem Zeugnis essen durften.
Mit ernster Miene stellte er sich vor den Steinhaufen, spreizte die Arme ab, mit den Handflächen nach vorn. Doreé und Jaromir taten es ihm gleich.
»Denn du bist ein heiliges Volk dem Herrn«, sprach er mit lauter Stimme. »Dich hat der Herr, dein Gott, erwählt zum Volk des Eigentums aus allen Völkern, die auf Erden sind. Nicht hat euch der Herr angenommen und euch erwählt, weil ihr größer wäret als alle Völker, sondern weil er euch geliebt hat und damit er seinen Eid hielte, den er euren Vätern geschworen hat.«
Ein ehrfürchtiger Schauer rieselte über
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