ESCORTER (German Edition)
Mal kippte die Plattform weg, bevor sie die Möglichkeit hatte, seine Augen zu fixieren. Schneller und schneller drehte sie sich. Schwindel erfasste sie von dem scheinbar willkürlichen Gewirbel. Und inmitten des Gemurmels der Escorter und ihrer verwirrten Sinne hörte sie plötzlich Davids Stimme.
»Ich entsage dir, Herr«, rief er, »und gebe mich der Dunkelheit hin.«
»Nein«, schrie Doreé. »David. Was tust du?«
»Der Fürst der Dunkelheit ist der Gebieter über mein Fleisch«, brüllte David unbeeindruckt weiter. Schrill und laut hallte seine Stimme durch den Keller, wie eine sterbende Flamme, die ihre verbliebenen Kräfte sammelte, um noch einmal hell zu erstrahlen, bevor sie starb. »Ich entsage dir, oh Herr. Ich bin nicht länger dein Diener.«
Warum tust du das, David? Schrie es in Doreés Kopf.
Die Plattform wirbelte. Blut tropfte in die Tiefe. Die Stimmen hüllten sie ein. Der Wechsel von Licht und Dunkelheit verschwamm zu einem fließenden Grau. Oben. Unten. Links. Rechts. Alles wurde eins. Sie hörte David schreien und dann plötzlich Stille.
* * *
David spürte, wie das Leben seinen Körper verließ und wusste, dass es nichts gab, was er dagegen tun konnte. Er würde sterben. Sein getrübter Blick fiel auf Doreé, die über dem Tunnel schwebte, und sein Herz krampfte sich schmerzhaft zusammen. Er hatte versagt, hatte es nicht geschafft, sie zu beschützen. Dann betrachtete er das Blut, das in die Tiefe tropfte. Sein Blut. Dass er derjenige sein würde, der das Tor öffnete, damit hatte er nicht gerechnet. Es war reiner Hohn und eine Schande zugleich. Er hatte den Willen des Herrn nach eigenem Ermessen interpretiert, um Doreé zu retten. Das erkannte er jetzt. Schon bald würde er ihm gegenüberstehen und sich verantworten müssen. Die Vorstellung ängstigte und beschämte ihn. Er hatte versagt.
Doreé hatte Gäaps Werben nichts entgegenzusetzen. Sie würde sich mit ihm verbinden und es war alleine seine Schuld, wenn sie das Gleichgewicht der Welt zerstörte. Der Herr würde ihm vergeben, so wie er seinen Kindern stets vergab. Doch konnte er sich selbst vergeben?
Die Plattform begann, zu vibrieren und sich langsam zu drehen. Das Tor öffnete sich. Den Blutzoll zahlte er.
Fieberhaft überlegte er, was er tun könnte, doch die Seile verhinderten einen Freitod, ebenso eine Rettung. Schon spürte er die Kälte, die seine Beine hinaufkroch, ihre Finger nach seinem Herzen ausstreckte. Ihm blieb nicht mehr viel Zeit. Höchstens Minuten noch.
Die Idee, die nur Sekunden später durch seine Gedanken blitzte, erschreckte ihn so sehr, dass er einen Augenblick lang glaubte, sofort zu sterben, so sehr raste sein Herz. Er musste seinen Glauben verleugnen, dem Herrn abschwören und sich dem Fürsten der Unterwelt unterwerfen. Nur dann konnte er noch etwas ausrichten. Satan würde ihn, einen gefallenen Diener des Herrn, nicht gerne in sein Reich aufnehmen, doch er musste, wenn der Herr ihn verstieß. Der Gedanke schmerzte, mehr noch als der Gedanke an Doreés Tod, doch es war der einzige Weg. Der einzige Weg.
Tropf. Tropf. Das Blut verließ seinen Körper. Er musste es jetzt tun.
»Ich entsage dir, Herr«, stieß er gequält hervor. »Und gebe mich der Dunkelheit hin.«
Doreés Stimme wehte an sein Ohr, doch er verstand nicht, was sie sagte. Rasend schnell drehte sich die Plattform um sich selbst. Er sah, wie sich Doreés Fesseln wie von Geisterhand lösten. Ein oder zwei Umdrehungen noch und sie würde in die Tiefe stürzen.
»Der Fürst der Dunkelheit ist der Gebieter über mein Fleisch«, fuhr David fort. Er schrie so laut er konnte, mobilisierte seine letzten Kräfte.
»Ich entsage dir, oh Herr. Ich bin nicht länger dein Diener.« Er hatte keine Ahnung, ob sein Plan funktionieren und Gott ihn tatsächlich verstoßen würde. Erst wenn er starb, würde er es sehen.
Die Escorter sammelten sich um den Abgrund. Ihre verwirrten und ratlosen Gesichter angesichts seines Gebrülls, brachte ihn zum Lachen. Er schrie unbeirrt weiter, bis Doreé in der Tiefe verschwand.
Schwärze senkte sich auf ihn hinab.
24
Doreé fiel. Wann sich ihre Fesseln gelöst hatten oder wie, vermochte sie nicht zu sagen, auch sah sie nichts, aber sie fühlte, dass sie stürzte. Um sie herum entfaltete sich absolute Finsternis, die in den Augen schmerzte, weil sie ihren Pupillen die Möglichkeit verwehrte, sich an irgendetwas zu heften. Als sie es nicht mehr ertragen konnte, ins Nichts zu
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