Esel
wir
schlafen
.
Wir lassen den Kopf nach vorne sacken, verschränken die Arme vor der Brust und schließen die Augen. Das alles so synchron, dass man meinen könnte, wir hätten diese Nummer einstudiert. Sabine fügt ihrer Schlafsimulation noch einen kleinen Grunzlaut hinzu, was ich ein bisschen übertrieben finde.
Wenn man die Augen geschlossen hat, aber an Schlaf nicht zu denken ist, schaltet das Gedankenpingpong automatisch einen Gang höher. Angenehm ist was anderes. Nackte Überlebensangst mischt sich mit Verlustängsten. Markus will mein Leben, Karin will es nicht mehr mit mir teilen. Vielleicht? Vielleicht nicht? Vielleicht doch? Markus, Karin, Liebe, Tod, Mord, Kuss, ein Schuss, Heirat, ein Stich, Trennung, ein Abschiedskuss, Blut!
»Schläfst du?«
Markus rüttelt an meiner Schulter. Ich werde jetzt nicht so bescheuert sein und so tun, als würde ich schlafen. Jemand, der lange Zeit in einer Zelle verbracht hat, merkt den Unterschied zwischen simuliertem Schlaf und echtem sofort. Es sei denn, es war eine Einzelzelle, das trübt wahrscheinlich nicht nur den Blick.
Ich mache die Augen auf und antworte: »Nee.«
»Gut, ich auch nicht.«
Ich nicke, das habe ich nicht verlernt.
»Magst du Filme«, will Markus von mir wissen. Er sucht anscheinend ein Gespräch. Gibt es Mörder, die mit ihren Opfern vor der Tat über Filme sprechen, ich weiß es nicht.
»Schon, manchmal. Ja, ich mag Filme.«
»Harte?«
»Filme?«
»Ja, was sonst?«
»Ja, harte Filme mag ich jetzt nicht so …«
»… ich guck’ nur harte Filme.«
»Verstehe.«
»Kennst du
Tödliche Versprechen
?«
»Cronenberg.«
»Was? Hörst du nicht zu? Ich hab’ gesagt:
Tödliche Versprechen!
«
»Cronenberg hat da Regie geführt. Bei dem Film.
Tödliche Versprechen
ist von Cronenberg.«
»Na und?«
»Hast recht, spielt keine Rolle.«
»Quatschst du mir jetzt nach dem Maul, oder was?«
»Quatsch. Ich mein’, nein.«
»
Tödliche Versprechen
ist geil.«
»Ja. Ist auch wirklich meine Meinung.«
»Okay.«
Das war knapp.
»Was ist deine Lieblingsszene?«
O Gott, ich weiß es nicht. Ich weiß auch nur, dass dieser Film von Cronenberg ist, weil ich einen Artikel über ihn lesen musste, sonst hätte mich dieser Vater eines Schülers in der Zahnarztpraxis totgequatscht mit der angeblichen Sonderbegabung seines Jungen. Wenn es nach mir ginge, gäbe es in jeder Zahnarztpraxis zwei Warteräume, einen für Eltern und den anderen für Lehrer. Dieses Prinzip könnte man von mir aus auch gerne auf den öffentlichen Nahverkehr ausweiten und auf Restaurants, da besonders. Lehrer links, Eltern rechts, dazwischen eine drei Meter hohe Mauer aus Beton. Wie das aussieht, wäre mir egal, wenn ich nur essen könnte, ohne über die Zensuren, Schwächen, Stärken, Allergien oder Benimmdefizite meiner Schüler mit deren Eltern diskutieren zu müssen.
»Hallo?«
Markus tippt an meine Stirn.
»Ich überlege noch. Es gibt so viele Szenen, die gut sind.«
»Nee, gibt nur eine, die richtig geil ist.«
»Neunzig Minuten sind lang, da gibt es einige.«
Ich schaue kurz zu Sabine, die ihr Schlafen entweder perfekt simulieren kann oder es tatsächlich geschafft hat, sich aus der Besinnung zu verabschieden.
»Es gibt nur eine geile Szene, Punkt!«
»Okay. Welche meinst du?«
Das ist mutig. Jetzt stelle ich die Fragen, das kann ich, das habe ich gelernt. Meistens bekomme ich keine Antworten, das darf jetzt nicht passieren. Aber Markus ist kein Schüler, vielleicht habe ich Glück, und er freut sich sogar, mir antworten zu dürfen.
»Die Saunaszene, welche sonst? Die ist endgeil … wo die beiden Russenkiller in die Sauna kommen und den Typen dann umbringen.«
»Eiskalt.«
»Ja … hammergeil … eiskalt in der Sauna, geil!«
Markus lacht, so eine Reaktion bekomme ich von meinen Schülern selten.
»Wie heißt der Typ?«
»Ähm, welcher … der Tote?«
»Nee.«
»Der Killer?«
»Nee, dieser … Canterberg?«
»Cronenberg, der Regisseur?«
»Genau, Cronenberg. Geiler Freier.« Markus schüttelt den Kopf, so wie man ihn schüttelt, wenn man etwas kaum glauben kann. »Eiskalte Saunakiller, wie geil!« Markus klopft sich dabei begeistert auf die Oberschenkel.
»Ja, total.«
Ich weiß nicht, ob diese sprachliche Verbrüderung gut ist. Es gibt Menschen, die sich schnell verarscht fühlen.
»Total«, bestätigt Markus.
Er fühlt sich nicht verarscht. Glück gehabt.
»Was machst du eigentlich beruflich?«
Bevor ich antworten kann, legt Markus
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