Esel
ahnen, dass ein Dauerregen im Mittelmeer irgendwann mal dazu führen würde, dass ich bei einem Dauerregen in der Uckermark daran zurückdenken könnte. Wie auch, als ich auf Malta war, lag die Uckermark noch in einem Deutschland, das bestenfalls in den Urkunden wiedervereinigt war.
Das Hotel Phonicia liegt mitten im Zentrum der Stadt. Es hat vier Sterne, drei davon allerdings ohne jede Berechtigung. Bei der Auswahl des Hotels gab es für mich nur ein Kriterium – Satellitenempfang. Dieses Kriterium erfüllte das Phonicia; dass es damit auch die Grundlage unseres ersten Streits war, hätte ich ahnen können. Kalkuliert hatte ich es nicht.
»Du willst doch jetzt wohl nicht die Kiste anmachen?« Karins Augen verengten sich zu kleinen Schlitzen.
»Warum nicht, bei dem Regen?«
»Wir fahren nach Malta, um fernzusehen?«
»Natürlich fahren wir nicht nach Malta, um fernzusehen, aber wenn es regnet?«
»Das glaub’ ich nicht, das ist doch nicht wahr.«
»Karin, wir müssen nicht fernsehen.«
»Ich glaub’s einfach nicht.«
»Ich hab’ doch gesagt, wir müssen nicht fernsehen.«
Karin ging zu dem Fernseher, dessen Ausmaße mich nicht vom Hocker rissen, und schaltete ihn ein.
»Zufrieden?«
»Karin, wirklich nicht, wir können auch was anderes machen.«
»So? Was denn? Im Regen rumlatschen?«
»Stimmt, der Regen … blöd, oder?«
»Ja, obwohl, einmal die Altstadt rauf und wieder runter, nass wird man nicht, ist ja nicht so lang, der Weg.«
»Humor hast du.«
»So?«
Was ich als humorvolle Bemerkung ihrerseits interpretierte, war von Karin alles andere als humorvoll gemeint. Ein erfahrener Ehemann hätte das schon an der minimalen Schieflage ihres Kopfes erkennen können. Und bei intensiver Betrachtung meiner Frau auch an den Mundrändern, die sich, für Laien allerdings kaum sichtbar, nach unten neigten.
Karin schmiss sich neben mich aufs Bett, ich hatte mich bereits in das nicht sehr aufwendige Studium der Fernbedienung vertieft. Karins Laune verschlechterte sich mit jeder Sekunde. Am Anfang unserer Beziehung war ihr schlechte Laune so fremd wie mir ein Mittel dagegen. Ein aufmerksamer Ehemann hätte die emotionale Veränderung gespürt und dagegengesteuert. Ich habe – weder, noch.
Ganz vorsichtig richtete ich die Fernbedienung in Richtung des Geräts. Eine Fernbedienung, die Millionen enttäuschter Phonicia-Gäste in den Händen gehalten hatten.
»Warum sind wir eigentlich ausgerechnet nach Malta gefahren?«, wollte Karin wissen.
»Wegen der Sprache.«
»Du interessierst dich für Maltesisch?«
Die Fernbedienung jagte durch die verschiedensten Kanäle im Schnelldurchlauf, keiner war für mich interessant.
»Bitte?«, fragte ich.
»Björn?«
»Ja?«
»Du interessierst dich doch nicht ernsthaft für Maltesisch?«
»Warum nicht? Das ist eine semitische Sprache.«
»Du bist Englischlehrer.«
»Genau.«
Da, endlich ein deutscher Sender, auf Programmplatz 125, eine Frechheit, ihn so weit hinten zu programmieren. Die Sender anderer Nationen waren auf den vorderen Plätzen zu finden. Wir waren ganz hinten, weit hinter den 45 verschiedenen Home-Shopping-Anbietern und nur knapp vor einem arabischen Sender. Immerhin. Dennoch, die Programmierung der Fernbedienung war ein Statement, eine politische Aussage. Die Deutschen und ihre Vergangenheit, auch in Malta wird damit abgerechnet, dachte ich.
»Björn?«
»Ja?«
»Du hörst mir überhaupt nicht zu.«
»Selbstverständlich höre ich dir zu, du hast gesagt, dass ich Englischlehrer sei, vollkommen richtig. Was soll ich dazu noch sagen?«
Jetzt fand ich endlich auch den Sender, den ich gesucht hatte, aber das Glück währte nicht lange. Karin riss mir die Fernbedienung aus der Hand und zielte auf mich, als wolle sie mich damit erschießen.
»Was?«
»Wie?«
»Was machen wir hier?«
»Fernsehen?«
»Was?«, diesmal klang Karin deutlich lauter.
»Okay, okay, ich erkläre es dir. Ich interessiere mich natürlich nicht für Maltesisch, obwohl, irgendwie schon. Das ist eine durchaus interessante Sprache, die Grundlage hat ein arabischer Dialekt gelegt, spannend, oder?«
Karin schwieg.
»Nicht spannend, okay, ich find’ schon, aber okay, nicht spannend. Maltesisch ist aber auch die einzige semitische Sprache, die lateinische Schriftzeichen verwendet.«
Karin schwieg nicht mehr, sie begann, ihre Atmung zu intensivieren. Sie atmete sehr tief ein und aus, so, als müsse sie gleich etwas sehr Anstrengendes vollbringen, für das sie jede
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