Esel
Lehrerzimmer gefunden wird, mit oder ohne wartenden Esel, das ist dann auch egal.
Auch Friedhelm und Inge scheinen ihren Frieden gefunden zu haben. Sie haben sich unserer Schrittgeschwindigkeit angepasst und beabsichtigen nicht wie üblich, an jedem Grashalm anzuhalten. Selbst die Esel wollen so schnell wie möglich nach Plötzen. Das habe ich jetzt gelernt, Esel brauchen ihre Ruhe und tun auch was dafür. Auf ihre Weise sind sie klüger, als ich bislang dachte.
»Gehst du morgen gleich weiter?«, will Sabine jetzt von mir wissen.
»Und du?«
»Weiß nicht, vielleicht bleibe ich einen Tag in Plötzen, soll ja schön sein.«
»Ah ja, keine Ahnung.«
»Keine Ahnung?«
»Eigentlich nicht.«
»Was versprichst du dir eigentlich von diesem Urlaub?«
Sabine stellt eine Frage, die sich mir noch nie in dieser klaren Form gestellt hat. Ich verspreche mir gar nichts von diesem Urlaub, im Gegensatz zu meiner Frau. Soll ich das etwa antworten? Nein, auf keinen Fall.
»Ich muss einfach mal meinen Kopf wieder klarkriegen. Das Wesentliche, die reine Lehre, weißt du, deshalb mach’ ich das hier.«
»Und warum mit einem Esel?«
»Tja, Sabine, gute Frage, warum mit einem Esel? Ich glaube, es war der Wunsch nach einer Auseinandersetzung mit der Natur, ganz unmittelbar. So ein Tier, das lehrt einen doch einen ganz anderen Blick.«
»Mhm, verstehe.«
Sie versteht es nicht, aber sie ist höflich genug, nicht weiter nachzufragen. Friedhelm und ich sind eine Schicksalsgemeinschaft. Eine Buchung hat uns zusammengeführt. Nichts anderes. Nicht der Wunsch nach einer Auseinandersetzung mit der Natur, keine Sehnsucht nach einem Dialog zwischen Mensch und Tier und auch keine romantische Ambition, die Tierliebe der Stadtmenschen für sich zu entdecken, weil sie wissen, dass ein eigenes Haustier zu viel Arbeit macht. Nichts von alldem hat mich hierhergebracht. Es war einzig und allein Karins Wille. Und mir fällt noch immer kein Grund ein, was genau sie damit bezweckte. Mir fällt so einiges nicht ein, wenn ich jetzt an Karin denke. Wo sie jetzt sein könnte, ob sie an mich denkt oder ob sie jubelnd um unseren alten Teakholztisch in der Küche marschiert, eine Fanfare in der Hand, um das Jubeln lautstark zu untermalen. Das mit der Fanfare ist Blödsinn, Karin hasst Blasinstrumente, so gut kenne ich sie schon, wenigstens das weiß ich.
»Ich glaub’, ich geh’ gleich erst mal schwimmen, in der Nähe von unserem nächsten Stopp ist ein kleiner See«, sagt Sabine.
»Ah ja, schön.«
»Gehst du auch?«
»Weiß nicht, ich glaub’, ich geh’ erst mal ’ne Runde schlafen, ich bin so was von platt.«
»Björn, darf ich dir was sagen?«
»Klar.«
»Aber nicht böse sein.«
»Nein, warum, was ist denn?«
»Ich glaube, du bist ein sehr trauriger Mensch.«
»Weil ich nicht schwimmen will?«
»Du hast eine tiefe Verletzung.«
»Wo?«
»Du musst dich für mich nicht verstellen, jemand hat dir sehr weh getan.«
Ausgerechnet eine Frau, die mindestens eine Neurose in ihrem Kopfgarten pflegt, macht sich analytische Gedanken um mich. Während meine eigene Frau es bei einer Landverschickung inklusive Eselbegleitung belässt. Was um Himmels willen soll das hier werden? Ich werde Sabine auf keinen Fall die Gelegenheit geben, diesen Psychotrip weiterzuverfolgen.
»Kleinen Moment, ich glaube, Friedhelm lahmt.«
»Du läufst vor dir davon.«
»Nein, Sabine, ich lauf’ jetzt mal zu Friedhelm, siehst du nicht, dass er das Bein nachzieht?«
»Nein, seh’ ich nicht.«
»Ich schon.«
In meiner Erinnerung tauchen genug Tiersendungen oder Spielfilme auf, in denen ein auskeilender Esel eine bedeutende Rolle spielt. Aber ich will nun mal nicht bestätigen, dass ich vor mir davonlaufe, und schon gar nicht möchte ich dieser Frau die Gewissheit geben, dass ich hier nur herumlaufe, weil Karin es so gewollt hat.
»Ganz ruhig, Friedhelm, ganz ruhig.«
»Der hat nichts, der läuft ganz normal.«
»Für dich vielleicht. Ganz ruhig, Friedhelm.«
»Pass auf, die Ohren.«
»Die Ohren sind okay, er hat es am Hinterlauf.«
»Aber die Ohren … die Ohren, pass auf!«
Ich hätte wissen müssen, dass Eselohren auch so etwas wie ihr Befindlichkeitsradar sind. Friedhelms Ohrenstellung steht für eine ganz bestimmte Form der Befindlichkeit, die ich erst dann richtig einschätze, als sein rechter Hinterlauf eine Körperregion trifft, die ich sonst nur Karin zugänglich mache.
Himmel, es tut so weh, es tut so schrecklich weh.
»Ich hab’ dir doch
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