Eselsmilch
Mordversuch Martha Stolzer zum Opfer.‹ Darüber, nehme ich an,
gerät er völlig außer sich. Er ist so in Rage, dass er nach einer schnellen
Gelegenheit sucht, wieder zuzuschlagen, um seine Wut loszuwerden. Es gelingt
ihm einfach nicht, einen kühlen Kopf zu bewahren. Als er mitbekommt, dass wir
nach dem Abendessen noch eine Runde laufen wollen, folgt er uns. Er hat sogar
noch Zeit genug, sich zu vermummen, sodass wir ihn nicht erkennen können.
Vielleicht nimmt er einfach einen dunklen Mantel und einen dunklen Schal von
einem der Garderobenständer im Hotel und schlingt sich den Schal wie eine
Chèche um Kopf und Gesicht. Er folgt uns also und sieht seine Chance, weil ihm
klar wird, dass wir vorhaben, in die kleine Gasse einzubiegen. Er überholt uns
und lauert uns auf. Durch den Kampf, den er verliert, wird sein Mütchen
gekühlt. Er beginnt, wieder klarer zu denken, verschlagener zu planen.«
»So
könnte es gewesen sein – vielleicht, vielleicht aber auch nicht.« Sprudel
wirkte konfus, begann seine Wangenfalten zu malträtieren und sein Kinn zu
kratzen. Plötzlich hielt er inne. »Wir spielen das Ganze an einem konkreten
Beispiel durch.«
Fanni
wartete ab, und er fuhr fort: »Nehmen wir Otto Brügge als Täter, wegen seiner
Handverletzung scheint er dir ja am verdächtigsten zu sein.« Sprudel unterbrach
sich kurz, bevor er hinzufügte: »Für die es allerdings zumindest ein schartiges
Glas als Beweis und einen bedauernswerten Barkeeper als Zeugen geben dürfte.«
»Scharten
kann man absichtlich schlagen«, warf Fanni ein, »um einen Grund zu finden, die
Hand mit dem Taschentuch zu umwickeln.«
Sprudel
musste ihr recht geben. »Otto Brügge«, fing er wieder an, »hat also ein uns
unbekanntes Motiv, dich töten zu wollen. Morgens im Café täuschen die Brügges
einen Streit vor, um sich ein Alibi …« Er verstummte und dachte nach.
»Nein, Fanni, das ist Unsinn. Sie konnten ja nicht wissen, dass sie eines
brauchen würden. Die Brügges streiten sich tatsächlich allen Ernstes über das,
wovon Antje gesprochen hat. Auf einmal sieht Otto eine Frau, die ein rotes
Umschlagtuch und eine graue Mütze trägt, das Café verlassen. Er hält sie für
Fanni Rot, springt auf, folgt ihr und stößt sie vor einen Omnibus. Bereits
wenige Minuten später sitzt er wieder am Tisch. Außer seiner Frau hat niemand
sein Fehlen bemerkt. Die aber hält trotz aller Zwistigkeiten zu ihm.«
Sprudel
ordnete kurz seine Gedanken, dann sprach er weiter. »Am Abend spielt es sich
ähnlich ab. Er entschließt sich spontan, uns zu folgen, weil ihm sein Missgriff
keine Ruhe lässt. Von seiner Frau lässt er sich den schwarzen Schal geben, den
sie beim Abendessen zum beigen Pullover trug, und wickelt ihn sich um den Kopf.
Eine dunkle Jacke hat er sowieso an. Wiebke Brügge kommt natürlich nicht mit,
aber sie hat auch nicht den Nerv, aufs Zimmer zu gehen. Sie wartet im Foyer auf
ihn, und als er zurückkommt, gehen sie in die Bar, wo sie diesmal tatsächlich
streiten, um bemerkt zu werden, und wo er so tut, als hätte er sich
geschnitten, um die Bisswunde vertuschen zu können. Ja«, fügte Sprudel nach
einer Verschnaufpause hinzu, »ja, denkbar wäre das.«
»Denkbar«,
wiederholte Fanni gedehnt. »Denkbar wäre aber genauso gut, dass mir Melanie
Fuchs nach dem Leben trachtet und dieses Lineal mit Sonnenbrille und Käppi
damit beauftragt hat, die Schmutzarbeit für sie zu erledigen. Leider passiert
dem Auftragskiller dabei ein nicht wiedergutzumachendes Versehen, weshalb Melanie
ihn drängt, die Scharte schleunigst wieder auszuwetzen. Er nutzt die erstbeste
Gelegenheit dazu, und als er wieder versagt, nimmt Melanie die Sache tags
darauf persönlich in die Hand.«
»Auch
das ist denkbar«, sagte Sprudel müde. »Denkbar ist ebenso, dass Martha sterben
musste, weil es so geplant war. Dass gar keine Verwechslung vorlag, dass es der
Täter ebenso auf sie abgesehen hatte, wie er es auf dich abgesehen hat. Alles
Mögliche ist denkbar und ergibt erst dann einen Sinn, wenn das Motiv
offenliegt.«
»Und
das bringt uns wieder zu der Verbindung zwischen dem Täter und mir, die das
Motiv eigentlich enthüllen müsste«, erinnerte ihn Fanni.
»Wir
können sie nur finden«, erwiderte Sprudel, »indem wir jedes einzelne Mitglied
der Reisegruppe unter die Lupe nehmen – mitsamt Herkunft, Umfeld,
Verwandten.«
Muss
man jetzt wirklich bereden, dass derartige Ermittlungen auf einer Tour durchs
Atlasgebirge unmöglich sind? Doch wohl
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