Eskandar: Roman (German Edition)
leise oder überhaupt mit meinem Eskandar-Agha spreche. Ob ich hier sitze oder draußen bin. Aftab-Khanum seufzt schwer, blickt zum Fenster hinaus in den Hof und zum Eingang, weil von dahinter auf der Straße das Geräusch von dumpfen Schüssen und das Geschrei einer Frau in ihr Zimmer dringt, die offenbar getroffen wurde.
Aftab-Khanum nimmt die Farvahar-Kette, die ihr Mann ihr vor Jahren geschenkt hat vom Hals und hängt sie ihrem Eskandar-Agha um den Hals, ohne dass der auch nur die geringste Reaktion zeigt.
Im Moment brauchen Sie, mein geliebter Gemahl, das Symbol des ewigen Geistes mehr als ich. Möge es Sie schützen, schreibt Aftab-Khanum und seufzt abermals schwer. Mein bedauernswerter Mann befindet sich in einem Zustand, dass er wahrscheinlich nicht einmal mehr mitbekom men würde, ob ich überhaupt bin, schreibt Aftab-Khanum und lässt den Notizblock offen liegen.
Das große Schweigen und die Schwermut im Leben von Eskandar-Agha enden an dem Tag, als seine Nachbarn zu ihm ins Zimmer stürmen, die Frauen weinend, der Nachbarjunge Hossein bleich und die Männer niedergeschlagen.
Eskandar-Agha weiß sofort, etwas Schlimmes ist geschehen.
Deine Frau, sagt Hosseins Vater.
Nur mit Mühe richtet Eskandar-Agha sich auf, starrt Hossein, dessen Vater und die anderen Nachbarn an und merkt, wie ein Schleier nach dem anderen sich vor seinen Augen lüftet.
Die verehrte Aftab-Khanum ist in eine dieser verdammten Demonstrationen geraten, sagt der Vater von Hossein und sackt weinend zusammen, als hätte ihm einer die Füße unter seinem Körper weggezogen.
Eskandar-Agha spürt, wie es unter seiner Bettdecke feucht wird, weil er das Wasser nicht mehr halten kann.
Sie ist von der Polizei verprügelt worden, sagt Hossein weinend. Man hat sie verprügelt und einfach liegen lassen, und dann ist sie – sie ist -, sie ist unter die Füße der Polizeipferde geraten.
Sie hat mich und diese Welt verlassen?, murmelt Eskandar-Agha. Einfach so? Ohne Gruß und Abschied?
Eskandar-Agha stößt weder einen Schrei aus, noch schlägt er sich auf den Kopf, weder klagt er, noch verliert er das Bewusstsein, er weint nicht einmal, dreht seinen Nachbarn den Rücken zu und starrt auf die Wand.
Weinen Sie, sagt der Nachbarjunge Hossein, der nicht von seiner Seite weicht. Das wird Ihnen guttun, es wird Sie ins Leben zurückbringen, sagt der Junge und wechselt die Kleider von Eskandar-Agha, sein Laken, seine Bettdecke. Der Nachbarjunge gibt Eskandar-Agha zu essen und zu trinken und begleitet ihn in den Hof zum Abort.
Nach Tagen, die keiner zählt, kann Eskandar-Agha endlich weinen.
Das ist gut, sagt der Nachbarjunge Hossein. Ihrer verehrten Aftab-Khanum, Gott hab sie selig, würde das gefallen.
Als Eskandar-Agha keine Tränen mehr hat, sagt Hossein, ich muss in die Schule, sonst wird aus mir und meinem Leben nichts Vernünfti ges. Das würde Ihrer verehrten Aftab-Khanum, Gott hab sie selig, nicht gefallen, und all die Mühe, die sie sich mit mir gemacht hat, würde umsonst sein. Das kann ich nicht verantworten, sagt der Junge. Deshalb werde ich Sie jetzt allein lassen. Es sei denn, Sie wollen mit mir kommen und mich in die Schule begleiten.
Eskandar-Agha sieht den Jungen an, reibt sich die verquollenen Augen, nickt und murmelt, gut, mein Junge, dann werde ich dich in die Schule begleiten. Wir wollen Aftab-Khanum nicht enttäuschen.
Es vergehen weitere Wochen und Monate, dann willigt Eskandar-Agha ein, mit dem Nachbarjungen ins öffentliche Hammam zu gehen, beim Bäcker an der Ecke Brot zu kaufen, eine Fotografie von Hossein zu machen, einen Satz in seine Notizen zu schreiben, die letzten Zeilen in seinem Block zu lesen, die nicht er, sondern seine Aftab-Kahnum geschrieben hat, mit Hossein in den Basar zu gehen.
Sie sitzen in einem Lokal auf der Pritsche, die über dem Djub steht, und essen Eis mit Rosenwasser. Gerade lässt Eskandar-Agha ein Stück harten Milchrahm von seiner Eiscreme im Mund zergehen, da steht wie aus dem Nichts ein Mann vor ihm.
Agha-Eskandar?, Sie sind mir ja ein treuer Freund.
Erst beim zweiten Hinsehen erkennt Eskandar-Agha, es ist der Student, Agha-Farrokh aus dem Schreibbüro. Er hat längeres Haar, ist nicht mehr ganz so schlank, arbeitet noch immer bei Mossadegh, hat aller dings einen höheren Posten. Das Abschreiben von Dokumenten ist nicht mehr gefragt, sagt der Student, diese Arbeit erledigen heutzutage Geräte.
Eskandar-Agha lächelt und merkt, dass seine Freude darüber, den Studenten zu
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