Eskandar: Roman (German Edition)
werden.
Das ist wirklich eine schöne Vorstellung, pflichtet Eskandar-Agha dem Sekretär bei. Unsere Kinder und ihre Kinder spielen miteinander, und kein Kind wird jemals wieder an Pocken, Hunger, Cholera, Durst oder sonst einem Mangel sterben. Kein Kind wird arbeiten und seinen Eltern helfen müssen, das tägliche Brot für die Familie zu verdienen, und alle Kinder gehen in die Schule.
Apropos essen, sagt der Sekretär. Haben Sie nicht gesagt, Sie kennen ein gutes Lokal? Kommen Sie, ich habe Hunger.
Sobald er den ersten Löffel vom köstlichen Essen im Mund hat, schweigt der Sekretär, schließt die Augen, kaut mit halb offenem Mund und kann nicht schnell genug den nächsten Löffel mit Reis und Soße in den Mund schieben.
Einen zweiten Teller von unserem köstlichen Mahl für den Freund von Eskandar-Agha, ruft der Wirt in die Küche.
Erst jetzt hört der Sekretär auf, wie einer, der nicht ganz bei Sinnen ist, ins Nichts zu starren und zu grinsen, und auch seinen zweiten Teller genießt er, ohne ein Wort zu sagen und zufrieden. Er hat den letzten Bissen noch nicht ganz hinuntergeschluckt, da lehnt er sich zurück, rutscht tiefer in seine Kissen und schläft ein.
Aber wir haben ein richtiges Zimmer gemietet, für Sie sogar ein Einzelzimmer, sagt Eskandar-Agha pflichtbewusst, aber leise, weil er hofft, der Sekretär wird ihn nicht mehr hören.
Lassen Sie nur, murmelt der und fängt leise an zu schnarchen.
Mir soll es recht sein, sagt Eskandar-Agha noch leiser, beobachtet den Sekretär und wartet, bis sein Atem gleichmäßig geht. Dann schleicht er sich hinaus vor die Tür des Gasthauses, wo der Wirt an der Mauer hockt und seine Wasserpfeife raucht.
Ya-allah, im Namen Gottes, sagt der Wirt. Der junge Mann ist also dein Vorgesetzter.
Das ist er.
Er scheint nervös zu sein.
Auch das stimmt.
Und du? Was ist mit dir, mein Freund?
Wie meinst du das?, fragt Eskandar-Agha.
Die Frauen, die vorhin in der Ecke gesessen haben, scheinen dich zu interessieren.
Ich dachte, ich kenne eine oder zwei von ihnen.
Diese Damen gehören aber nicht zu der Art Frauen, die einer wie du und ich kennen, sagt der Wirt mit ernster Miene.
In jungen Jahren habe ich für einige Damen dieser Art gearbeitet, antwortet Eskandar-Agha.
Nimm diesen Zettel, mein Freund, die verehrte Mahrokh-Khanum hat dich erkannt und diese Nachricht für dich hinterlassen.
Eskandar-Agha verliert Aftab-Khanum
Die Glocke macht einen derartigen Lärm, dass Eskandar-Agha be reut, sie betätigt zu haben, erst recht, als nicht etwa Mahrokh-Khanum, sondern zwei kräftige und bewaffnete Männer das Tor öffnen. Aber wie es scheint, haben sie ihn erwartet, denn sobald er seinen Namen nennt, führen sie ihn, ohne weitere Fragen zu stellen, durch den riesigen Park zum Haupthaus, wo eine Dienerin ihn in Empfang nimmt. Er folgt ihr durch die große Eingangshalle, einen noch größeren Salon und verschiedene Flure, bis sie ihm in einem prächtig ausgestatteten und mit vielen Blumen geschmückten Raum einen Platz auf bequemen Kissen anbietet und ihn allein lässt.
Alles, die Kissen, das Licht der Sonne, das durch die Vorhänge gemildert wird, der Wind, der sich in ihnen verfängt und sie aufbläht, erinnert Eskandar-Agha an den Harram und das frühere Haus der schönen Mahrokh-Khanum, und für einen Augenblick fühlt er sich wie der junge Mann, der er damals gewesen ist, mit so viel Kraft, dass er nicht wusste, wohin damit, voll von Lebenslust, ohne Ahnung vom Leben, voll von Sehnsucht, ohne zu wissen, wonach.
Dreißig Jahre sind ein ganzes Leben, murmelt Eskandar-Agha vor sich hin, legt die Hände auf seinen runden Bauch, nimmt sie wieder herunter, versucht ihn mit seiner Jacke zu verstecken.
Ist es nicht traurig?, fragt eine Stimme, die Eskandar-Agha sofort als die von Mahrokh-Khanum erkennt. Auch sie ist voller geworden, reifer, aber es ist dieselbe Stimme. Sie steht vor Eskandar-Agha und sieht auf ihn herab.
Er muss sich mit der Hand abstützen, erst aufs Knie kommen, bevor er zuerst den einen, dann den anderen Fuß aufsetzt und endlich steht. Beim Atmen keucht er ein wenig. In gewisser Weise steht Mahrokh-Khanum auch jetzt noch über ihm. Sie scheint gewachsen zu sein, oder vielleicht ist er geschrumpft. Jedenfalls könnte der Unterschied und Abstand zwischen ihm und ihr größer nicht sein, und auch nicht peinlicher. Kaum vorzustellen, dass dieser fettleibige, schwitzende, in die Jahre gekommene, und jetzt auch noch von der Reise mitgenommene Mann der
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