Eskandar: Roman (German Edition)
alten Kleider auszieht. Das nächste Bild zeigt ihre Hände, die die Kleider zusammenrollen und in eine Tüte stecken. Dann sieht man wieder nur die Füße und als Nächstes, wie ihre Füße ins Badezimmer verschwinden und die Tür geschlossen wird. Nimtadj zeigt die geschlossene Tür. Ihre Mutter kommt wieder heraus, im Bademantel und mit einem Handtuch um den Kopf, sie sieht zur Seite, lacht und hebt die Hände schützend vors Gesicht. In ihrem Zimmer holt sie verschiedene Kleider aus dem Schrank. Dann zeigt Nimtadj wieder nur ihre Füße, als sie unterschiedliche Kleider an- und auszieht. Schnitt. Sie hat sich für das lindgrüne entschieden. Schnitt. Roxana-Khanum sitzt vor ihrer Frisierkommode, Eskandar-Agha steht hinter ihr und sieht in die Kamera, dann kommt er auf sie zu, die Kamera wackelt, Nimtadj kommt ins Bild, toupiert und frisiert das Haar ihrer Mutter. Letztes Bild: Eine verwandelte Roxana-Khanum lächelt in die Kamera, macht ein Zeichen, dass sie nun genug hat von der Filmerei und die Kamera abgestellt werden soll. Erst als sie Tränen in den Augen hat, kommt ein Schwarzbild mit der Aufschrift: Sieben Jahre sind eine lange Zeit, ein Film von Nimtadj S.
Ein paar Tage später fahren Roxana-Khanum und Agha-Farrokh, den alle noch immer aus Gewohnheit Student nennen, zum ersten Mal hinaus und ins Café Naderi. Am Abend, als sie nach Hause zurückkehren, weinen sie beide. Das letzte Mal, als wir draußen waren, haben die Leute sich auf den Straßen gegenseitig umgebracht, sagt Roxana-Khanum. Heute tanzen, trinken, feiern sie und benehmen sich, als wäre all das Blut nicht geflossen. Und sie sprechen in den höchsten Tönen vom König, Seiner Majestät, Seiner königlichen Hoheit.
Sieben Jahre, sagt Nimtadj trocken.
Er hat Panzer, Pferde und Soldaten auf die Menschen gehetzt. Ist alles das vergessen?, fragt Roxana.
Ja, antwortet Nimtadj ruhig und bestimmt. Wir haben es vergessen, und das ist gut. Das Leben muss weitergehen. Ich bin achtzehn Jahre alt und habe mein ganzes Leben noch vor mir. Was sollte ich wohl deiner Meinung nach tun? Mir einen Sack über den Kopf ziehen, mich verkriechen und um die Toten der Vergangenheit trauern? Jetzt kann auch Nimtadj ihre Tränen nicht mehr zurückhalten.
Am nächsten Tag lässt Roxana-Khanum alle ungenutzten Räume öffnen und putzen und die große Veranda vor dem Haus herrichten. Und sie bittet Eskandar-Agha, neue Blumentöpfe aufzustellen, Schnittblumen in die großen Vasen zu geben und im Basar ein neues Radiogerät zu besorgen.
Khanum, wir befinden uns im Jahr 1963. Diese Dinge kauft heutzutage keiner mehr im Basar, sondern im Kaufhaus. Das ist ein riesiges Gebäude, in dem es die unterschiedlichsten Waren auf viele Stockwerke verteilt gibt und die Verkäufer nicht die Besitzer der Waren sind, sondern sie nur an den Mann bringen.
Außerdem ist es höchste Zeit, dass wir uns ein Fernsehgerät anschaffen, sagt Nimtadj.
Kaufhaus, Fernsehgeräte, ein Basar, der in einem großen, mehrstöckigen Gebäude untergebracht ist. Es kommt mir vor, als hätte ich die vergangenen sieben Jahre wie eine Bärin im Winterschlaf verbracht, sagt Roxana-Khanum.
Das hast du, sagt Nimtadj einsilbig.
Also gut, dann werden wir ein Fernsehgerät kaufen.
Mit Hilfe von Agha-Farrokh und Alexander, der nur widerwillig hilft, bringt Eskandar-Agha die Antenne auf dem Dach an, sie schleppen einen Tisch auf die Veranda, basteln ein Verlängerungskabel.
Das erste Bild, das sie zu sehen bekommen, als sie allesamt auf der Veranda versammelt sind, ist das des Schah. Er preist die Vorzüge seiner von ihm ausgerufenen Weißen Revolution und verspricht, dass es schon bald jedem Einzelnen im Land an nichts fehlen wird.
Jetzt, da die Länder, die Naft besitzen und fördern, sich zusammengetan und die OPEC gegründet haben, verfügt der Schah über noch mehr Macht als früher, sagt Nimtadj und merkt, wie ihre Mutter sie für ihre klugen Worte bewundert.
Was ist OPEC?, fragt Sahra.
Das ist der Zusammenschluss von Ländern, die Erdöl besitzen, es fördern und verkaufen, erklärt Alexander und lächelt die Kleine freundlich an.
Wozu ist das gut?, fragt Sahra weiter und bewundert den großen Alexander. Aber auch alle anderen Augen richten sich auf ihn. Nicht nur, weil sie neugierig sind, die Antwort zu erfahren, sondern vor allem, weil Alexander die meiste Zeit schweigt und sie nicht gewöhnt sind, seine Stimme zu hören.
Wenn die Länder sich zusammenschließen, statt in Konkurrenz zueinander
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