Eskandar: Roman (German Edition)
zu stehen, sind sie gegenüber dem Rest der Welt stärker, erklärt Alexander und kneift Sahra in die Wange.
So wie wir, sagt Sahra vor Freude strahlend. Jetzt, wo wir wieder alle zusammensitzen, sind wir stärker, und das Leben ist schöner als früher, wo jeder sich in seinem Zimmer verkrochen hat und alles still gewesen ist.
Die Kinder werden flügge, sagt Roxana-Khanum und lächelt.
Wir werden eine Revolution durchführen, die Sklaverei abschaffen und dem Volk zu seinem Recht verhelfen, ertönt die Stimme des Königs aus dem Fernseher.
Ich dachte, Revolutionen werden vom Volk gemacht, sagt Agha-Farrokh vorwurfsvoll und starrt den Fernsehapparat an, als würde er vom König eine Antwort erwarten.
Um mit gutem Beispiel voranzugehen, sagt Mohammad-Resa-Khan, werden wir Land aus unserem persönlichen Besitz an arbeitsame Leibeigene verteilen.
Land, das sein Vater und er selbst von Menschen wie Mahrokh-Khanum konfisziert haben, sagt Nimtadj und zieht einen Zettel aus ihrem Block hervor. An der Universität sind heimlich Flugblätter verteilt worden, sagt sie und liest: Im ganzen Land, aber besonders in der Stadt Qom, ist es zu heftigen Unruhen gekommen wegen dieser fadenscheinigen Wei ßen Revolution, die der König durchführen will.
Gott bewahre uns vor erneutem Blutvergießen, sagt Eskandar-Agha und sieht, so wie seine Mutter es getan hat, über sich zur Decke der Veranda.
Für diesen Wunsch ist es längst zu spät, sagt Nimtadj und senkt ihre Stimme. Der Schah hat seine Geheimpolizei und Armee längst auf die Leute gehetzt, und in der heiligen Stadt Qom werden Akhund beschuldigt und denunziert, gegen den Schah agitiert zu haben. Er hat viele von ihnen verhaften lassen. Nimtadj sieht sich um und spricht so leise, dass man sie kaum hören kann. Manche sind sogar schon hingerichtet worden.
Kinder, ich will, dass ihr euch von jeglicher Demonstration und Menschenansammlung fernhaltet, befiehlt Roxana-Khanum.
Aber eigentlich ist doch das, was der Schah macht, gut, sagt Sahra. Warum sind die Leute gegen ihn? Mit seiner Weißen Revolution hilft der König den Menschen in den Dörfern. Jungen aus der Armee werden in Dörfer geschickt, und sogar Mädchen tragen Uniform und gehen in Dörfer, sagt Sahra schüchtern.
Mädchen, woher hast du diesen Unsinn?, fragt Eskandar-Agha beunruhigt.
Aus der Schule.
Alles Lüge, schimpft Eskandar-Agha vor sich hin.
Meine Lehrerin hat es aber gesagt. Sie hat gesagt, die Wehrpflichtigen werden zwei Monate lang ausgebildet, und dann sind sie Experten für Medizin und Hygiene. Und sie hat gesagt, die Soldaten sind mutig, weil nicht einmal eine Straße in die Dörfer führt, erklärt Sahra.
Glaub nicht alles, was deine Lehrer dir weismachen wollen, murrt Eskandar-Agha. Experten, nach zwei Monaten. Wenn du mitdenken würdest, wüsstest du, dass das nichts als Unsinn ist.
Sahra schluckt ihre Tränen hinunter, schweigt und sieht niemanden mehr an.
Liebes, sagt Alexander und beugt sich freundlich zu ihr hinüber. Dein Vater hat recht. Von den jungen Soldaten, die der König in die Dörfer schickt, können die meisten weder lesen noch schreiben. Selbst wenn sie tatsächlich zweimonatiges Training bekommen, kennen sie sich deswegen längst noch nicht aus, geschweige denn, dass sie Experten sein können.
Sahra sieht ihren großen Alexander mit dankbarem Blick an, starrt dann aber wieder auf ihre Hände in ihrem Schoß.
Jedenfalls beweist unser Herr König mit seiner Revolution einmal mehr, wie wenig er sich in seinem eigenen Land und mit den Menschen auskennt, sagt Nimtadj.
Welcher Leibeigene oder Bauer kann sich überhaupt leisten, seine Kinder stundenlang in irgendeine Schule oder einen Unterricht gehen zu lassen?, schimpft Eskandar-Agha, und Sahra sackt noch mehr in sich zusammen.
Jeder Einzelne, ob alt oder jung, wird auf den Feldern und bei den Tieren oder für sonst eine Arbeit gebraucht.
Das stimmt, ruft Nimtadj. In den Dörfern von Mahrokh-Khanum habe ich mit eigenen Augen gesehen, wie Kinder, die höchstens drei Jahre alt sind, an den Webstühlen sitzen und Stoffe und Teppiche anfertigen müssen.
Würden der König und seine Berater ihre Heimat auch nur ein wenig kennen, wüssten sie, wie sehr die Menschen in den Dörfern sich vor Fremden fürchten. Und dann tauchen plötzlich junge Soldaten auf, die sagen, die Regierung schickt sie, erklärt Eskandar-Agha. Weder meine Mutter noch ich selber, nicht einmal unser Kadkhoda, der Krumme-Morad, wusste, was eine Regierung
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