Eskandar: Roman (German Edition)
ist.
Wenn in den Dörfern Fremde auftauchen, werden als Erstes die Mädchen und Frauen vor ihnen beschützt und in die Häuser verbannt, sagt Nimtadj.
Manchmal nicht, murmelt Eskandar-Agha, ohne jemanden dabei anzusehen. Manchmal begegnen die Frauen den Fremden, und dann geschieht ein Unglück.
Die armen Leute tun mir leid, sagt Nimtadj. Mir würde es gut gefallen, in ein Dorf zu gehen und den Leuten dort zu helfen, ihnen Lesen und Schreiben beizubringen und was sie sonst noch wissen müssen.
Das kannst du dir gleich wieder aus dem Kopf schlagen, sagt Roxana aufgebracht. Ein Mädchen, mutterseelenallein in einem Dorf, zu dem nicht einmal eine Straße führt. Du glaubst doch nicht, dass die Leute das einfach so hinnehmen, und was, meinst du, denken sie von solchen Mädchen? Der Schah und seine Weiße Revolution sind nichts als ein großer Betrug, schimpft Roxana-Khanum.
Während Nimtadj nur mit den Schultern zuckt und ihre Mutter nicht weiter beachtet, sagt Sahra leise: Dann bin ich eben dumm und habe nichts verstanden. Sie steht auf und geht in den Garten, und alle Erwachsenen blicken ihr verdutzt hinterher.
Sahra, komm zurück, ruft Eskandar-Agha.
Lassen Sie sie, sagt Alexander und folgt ihr. Ich werde sie beruhigen.
Wie die Mutter
So wie im Haus von Roxana-Khanum diskutieren die Menschen überall im Land über die Weiße Revolution ihres Königs. In den Schulen und an der Universität kommt es zu mehr und mehr Handgreiflichkeiten und Prügeleien. Agenten und Spitzel mischen sich unter die Studenten und provozieren sie, um die Rädelsführer zu entlarven und sie verhaften zu lassen. An manchen Tagen sind die Ausschreitungen so heftig, dass Nimtadj und Alexander nicht einmal in ihre Vorlesungen können.
Und mit jedem Jahr lässt der König mehr und mehr seiner Gegner verhaften, und er zieht die politische Schlinge enger und enger.
Nimtadj, Alexander und abertausende Studenten im ganzen Land boykottieren den Unterricht und demonstrieren offen gegen die brutale Gewalt ihres Königs.
Als die BBC von Verletzten und Toten an der Universität berichtet, rennt Roxana-Khanum, fahl wie Kreide, zu Eskandar-Agha. Sie müssen mir helfen, ruft sie. Nimtadj und Alexander sind in der Universität. Wir müssen sofort hinfahren.
Ich habe versucht, es ihr auszureden, sagt Agha-Farrokh, der außer Atem seiner Roxana-Khanum zum Gärtnerhäuschen gefolgt ist. Es wäre reine Dummheit, mit dieser auffälligen Limousine auch nur in der Nähe der Universität gesehen zu werden.
Ich werde eine Droschke nehmen und fahren, erklärt Eskandar-Agha, nimmt seinen Fotoapparat, zieht seine Jacke über und rennt zum Tor. Je näher die Droschke der Universität kommt, desto mehr Polizei und Armee sieht Eskandar-Agha. Obwohl es gefährlich ist und trotz der späten Stunde sind noch immer Studenten unterwegs und rufen im Schutz der Nacht Parolen gegen den Schah, dann hört man ihre hallenden Schritte, wie sie davonlaufen und von Polizisten und Soldaten verfolgt werden. Und manchmal hört man einen Schuss und einen Schrei, und mehr als einmal hört Eskandar-Agha auch ein Ächzen und einen Körper dumpf zu Boden fallen.
Agha, sagt der Droschkenführer leise, für mich ist hier Endstation. Bitte. Sie müssen verstehen. Ich habe sechs Kinder, eine Frau und meine alte Mutter.
Natürlich weiß Eskandar-Agha, wie gering seine Aussicht ist, hier und zu dieser Stunde Alexander und Nimtadj zu finden, trotzdem und obwohl seine Knie vor Angst weich sind, bezahlt er den Droschkenführer und geht zu Fuß weiter in Richtung Universität. Er geht dicht an der Mauer entlang, bis zwei junge Männer auf ihn zukommen und ihm den Weg versperren.
Ich suche meinen Sohn, lügt Eskandar-Agha. Sein Name ist Alexander.
Das ist ein eigenartiger Name, sagt der erste junge Mann.
Das weiß ich, antwortet Eskandar-Agha. Haben Sie ihn gesehen?
Die beiden schütteln den Kopf und gehen weiter.
Viele Stunden später kehrt Eskandar-Agha erschöpft und entmutigt nach Hause zurück, wo Roxana und Agha-Farrokh ihn bereits am Tor erwarten.
Ich wollte zur Polizei gehen, aber dann habe ich gedacht, wenn ich den Namen der Kinder sage, bringe ich sie vielleicht erst recht in Gefahr.
Nimtadj ist inzwischen aufgetaucht, sagt Roxana-Khanum weinend, aber Alexander ist noch immer nicht zurück.
Die ganze Nacht und den nächsten Tag klebt Roxana am Radio und wechselt zwischen den Sendern hin und her. Doch die BBC bringt gar keine Nachrichten mehr zum Iran. Und der iranische
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