Eskandar: Roman (German Edition)
Sender rühmt die großartigen Entscheidungen Seiner Majestät Mohammad-Resa-Pahlewi und die großartigen Entwicklungen, die er im Iran erreicht hat. Und ständig loben sie seine Industrie der Petrochemie, mit der nun der Iran selbst Produkte herstellen kann, die bisher importiert werden mussten.
Benzin, Kunststoffe, Chemiefasern, das interessiert mich nicht, ruft Roxana-Khanum und schmeißt das Radiogerät beinah vom kleinen Tisch herunter, als sie über das Stromkabel stolpert. Roxana-Khanum steht da und weint. Ich will meinen Sohn zurück. Sie sollen sagen, was an der Universität vor sich geht.
Um sie zu beruhigen, klopft Eskandar-Agha die Kissen aus, setzt sich mit ihr, hält für einen Moment sogar ihre Hand und sagt, alles ist gut. Sie werden sehen, schon bald sind diese hässlichen Tage nichts als eine Erinnerung, über die wir sprechen und lachen werden.
Sie sind ein Engel, sagt Roxana, zieht behutsam ihre Hand aus der von Eskandar-Agha und starrt vor sich hin.
Denken Sie an andere Dinge, sagt Eskandar-Agha, überlegt einen Moment und spricht von der halbherzigen Bodenreform des Königs. Von weltfremden Leibeigenen und Bauern. Das Land, das der König den Bauern gibt, reicht nicht, um ihre Familien zu ernähren, sagt er. Außerdem haben die Leibeigenen keinerlei Gerät, Tiere, Saatgut oder Wasser, um ihr Land zu bestellen. Wie heißt es so treffend?, fragt Eskandar-Agha, aber Roxana starrt immer weiter vor sich hin.
Zum Sterben zu viel, zum Leben zu wenig, beantwortet Eskandar-Agha seine eigene Frage. Das Einzige, was unser König mit seiner planlosen Bodenreform erreicht hat, ist, dass er einmal mehr Großgrundbesitzer und Geistliche gegen sich aufgebracht hat, weil sie ohne ihr Land, ihre Dörfer und ihren Besitz auch keine Macht mehr über die Bauern haben.
Mahrokh-Khanum hat auch unendlich viel Land verloren und hasst den Schah dafür, murmelt Roxana-Khanum geistesabwesend. Und dennoch verehrt sie ihn auch auf diese seltsame Weise.
Sehen Sie, sagt Eskandar-Agha. Jetzt sind Sie abgelenkt, und es geht Ihnen schon viel besser.
Hören Sie auf damit, schimpft Roxana-Khanum und hält sich die Ohren zu. Ungerechtigkeiten, Lügen, Verhaftungen. Ich bin es leid, Erklärungen zu hören dafür, dass in meinem Land täglich hunderte Menschen sterben und verhungern. Und ich will auch nichts mehr darüber wissen, dass fruchtbares Land wegen falscher Bodenreformen verkommt. Gott wird mir vergeben, schimpft Roxana-Khanum, das Einzige, was mich jetzt interessiert, ist, dass ich meinen Sohn wohlbehalten in die Arme schließen kann.
Khanum, wenn Sie versprechen, dass Sie sich beruhigen werden, gehe ich jetzt gleich ans Tor und werde so lange dort stehen, bis Alexander zurückkommt, sagt Eskandar-Agha.
Für einen Augenblick hellt die Miene von Roxana-Khanum sich auf, dann sinkt ihr Körper wieder in sich zusammen, und sie sieht Eskandar-Agha an, als hätte er seinen Verstand verloren. Wofür soll das denn nun gut sein?
Das weiß ich auch nicht, murmelt Eskandar-Agha. Aber eine bessere Idee, als am Tor auf ihn zu warten, habe ich eben nicht. Wer weiß, sagt er, ich habe in meinem Leben schon manches Wunder erlebt.
Und dann am Abend geschieht das Wunder tatsächlich. Eskandar-Agha blickt die Gasse hinunter und erkennt sofort, die Gestalt am Ende der Straße kann kein anderer sein als Alexander.
Außer Atem kommt Eskandar-Agha zu Roxana-Khanum ins Zimmer gerannt und ruft schon vom Flur aus, Khanum, Khanum, Gott hat Ihre Gebete erhört.
Alexander sieht müde und abgekämpft aus, aber er ist glücklich und kann die Aufregung um sein Verschwinden nicht verstehen. Es geht um meine Heimat und meine Zukunft. Es ist meine Pflicht, mich zu engagieren und zu kämpfen, und es ist eure Pflicht, mich zu unterstützen, wenn ihr schon nicht selber kämpft.
Aus Prinzip und weil er nicht ihr Vater ist, hält Agha-Farrokh sich aus Auseinandersetzungen zwischen Roxana und ihren Kindern heraus. Doch jetzt fragt er seelenruhig: Du sagst, wir tun nichts? Agha-Farrokh nimmt seine Brille ab. Junge, denk nach, bevor du etwas sagst.
Überrascht sieht Alexander sich um, als könnte Agha-Farrokh möglicherweise nicht ihn, sondern einen anderen gemeint haben.
Vor zehn Jahren haben deine Mutter und ich und Tausende anderer Menschen gekämpft, und wir haben unser Leben aufs Spiel gesetzt, sagt Agha-Farrokh, und als sein Blick auf Eskandar-Agha fällt, sagt er, und unser Eskandar-Agha und Leute wie er haben ein ganzes Leben lang gekämpft.
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