Eskandar: Roman (German Edition)
wird, verzieht der Student keine Miene, er legt vorsichtig seine Zeitung neben sich auf den Boden, steht auf und verlässt wortlos das Zimmer.
Wohin gehen Sie?, fragt Eskandar-Agha.
Ich tue, was Sie geraten haben, mich im Spiegel betrachten, antwortet der Student leise, nicht mehr gewöhnt, lange Sätze zu sprechen.
Am Abend bittet Roxana-Khanum Eskandar-Agha zusammen mit seiner Sahra zum Essen ins Haupthaus. Alle sind um das gedeckte Sofre versammelt, der Koch serviert das Essen, nur der Student fehlt.
Ich fasse es nicht. Sieh dir die kleine Sahra an, seit wann trägst du eine Brille? Und dein Haar ist so lang, und du bist beinah so groß wie meine Nimtadj, sagt Roxana und ärgert sich über sich selbst, weil sie sich mit der Art, wie sie spricht, lächerlich vorkommt.
Khanum, mit Ihrer Erlaubnis, ich bin bald zehn Jahre alt.
Höchstens acht, korrigiert Eskandar-Agha.
Als sie hinter der Tür ein Geräusch hört, geht Roxana-Khanum zur Tür. Sind alle bereit?, fragt sie und öffnet sie.
Alle sind überrascht, denn ein vollkommen verwandelter Student steht vor ihnen und hält sogar ein kleines Lächeln für sie bereit. Er hat seinen hässlichen Siebenjahresbart abrasiert, seine graumelierten Haare geschnitten und sogar mit Pomade gebändigt und nach hinten gekämmt. Statt einer seiner alten Hosen und ehemals weißen, inzwischen allesamt grauen Hemden trägt er eine moderne Hose und einen schwarzen Rollkragenpullover.
Bevor er sich ans Sofre setzt, räuspert er sich. Dass der verehrte arme Mossadegh im Gefängnis gewesen ist und nun unter Hausarrest steht, beginnt der Student, ist kein Grund dafür, dass alle anderen aufhören zu leben. Ganz im Gegenteil. Der Verehrte selbst hat gesagt, wir sollen mutig sein, unser Leben leben und unserem Land nach bestem Können und Vermögen dienen.
Dann wendet der Student sich zu Eskandar-Agha, verneigt sich und sagt, Ihre Worte, verehrter Eskandar-Agha, haben mich an diese Pflicht erinnert. Sie haben mich aufgerüttelt, und dafür möchte ich Ihnen danken. Außerdem bitte ich alle Anwesenden aufrichtig und von ganzem Herzen um Vergebung, weil ich euch das Leben schwer gemacht habe. Ich werde versuchen, so rasch wie möglich wieder ein normaler Mensch zu werden und meine Fehler zu büßen.
Bravo, ruft Nimtadj, klatscht in die Hände.
Gott sei es gedankt, murmelt Eskandar-Agha, freut sich über seinen Erfolg und fragt sich, warum er nicht schon längst den Mund aufgemacht und gesagt hat, was er zu sagen hatte.
Bevor er seinen ersten Bissen in den Mund schiebt, betrachtet der Student Nimtadj, Alexander und Sahra lange und sagt mit leiser Stimme, die Kinder sind erwachsen geworden. Es ist Zeit, dass auch wir erwachsen werden. Er räuspert sich abermals und sagt, ich möchte euch bitten, mich in Zukunft mit meinem Namen anzusprechen, und als müsste sogar er selbst überlegen, wie er eigentlich richtig heißt, legt er die Stirn in Falten und sagt, ich heiße Farrokh.
Farrokh-Agha, murmelt Eskandar-Agha, schiebt sich ein Stück Brot mit Kashke-Bademjan, Aubergine mit Molke, in den Mund, nickt und kaut zufrieden.
Später am Abend, als die beiden großen Kinder und Sahra auf den Stufen der Veranda hocken und mit Kieselsteinen yek-qol-do-qol spielen, der Student sich für die Nacht verabschiedet und Roxana und Eskandar-Agha allein sind, druckst Eskandar-Agha herum, bis er schließlich den Mut aufbringt und sagt, Khanum, bitte verzeihen Sie meine Offenheit, aber ich glaube, für Sie wäre es auch besser, ein neues Kleid anzuziehen und sich ein wenig herzurichten.
Machen Sie eine Fotografie von mir, bittet sie, als sie sich im Spiegel sieht. Damit die Erinnerung an diese dunkle Zeit nicht verloren geht.
Khanum, wofür soll das gut sein? Manchmal ist es besser, sich nicht an die Dinge zu erinnern.
Als Warnung ist es gut. Damit ich mich nie wieder so gehen lasse.
Und ich werde dich mit meiner Super-8-Kamera filmen, sagt Nimtadj.
Filmen? Wie meinst du das? Du willst einen Film machen? Ich wusste nicht, dass du gelernt hast, Filme zu machen, und dass du eine Filmkamera hast, wusste ich auch nicht.
So wie du so viele andere Dinge ebenfalls nicht weißt, antwortet Nimtadj, ohne dabei unfreundlich zu klingen.
Ihre kurze Dokumentation nennt Nimtadj: Sieben Jahre – Die Rückkehr meiner Mutter. Zuerst ist Eskandar-Agha zu sehen, wie er Roxana von der einen Seite, von vorne und von der anderen Seite fotografiert. Dann sieht man nur die Füße von Roxana-Khanum und wie sie ihre
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