Eskandar: Roman (German Edition)

Jahres, dem Tag des Ssiesdah-bedar, tut Hodjat geheimnisvoll und will, dass Eskandar ihn zum Fluss begleitet. Aber erzähl den Männern nichts davon, denn wir wollen sie nicht verwirren und auf falsche Gedanken bringen.
    Was tun wir am Fluss?, fragt Eskandar.
    Wir werden uns nach einer unverheirateten Saifeh umsehen, klärt Hodjat ihn auf.
    Das ist verboten, solange eine Frau nicht dir gehört, sagt Eskandar im gleichen Ton, wie er es vom Mullah gelernt hat.
    So würde ich das nicht nennen, antwortet Hodjat verärgert und streicht seinen mit Henna rot gefärbten Bart glatt. Wenn man die Absicht hat, die Saifeh zur Frau zu nehmen, ist es sogar mehr als anständig.
    Du willst eine Frau nehmen?
    Jeder Mann muss irgendwann den Bund der Ehe eingehen, sagt Hodjat.
    Eskandar traut sich nicht, seinem Meister zu widersprechen, nimmt sich aber vor, seiner Roxana später, wenn sie ein junges Mädchen ist, jeglichen Besuch irgendwelcher Flüsse zu verbieten.
    Hör auf, mich anzustarren, brummt Hodjat. Und erzähl nur dem Mullah und den anderen nichts davon.
    Hodjats Miene hellt sich auf, als eine Gruppe junger Frauen am Fluss auftaucht. Die Mädchen lachen und kichern, und die meisten von ihnen tragen einen Teller oder eine Schale mit selbst angesetztem Ssabsi, Korn oder Reis, vor sich her. Obwohl ihre Gesichter mit dem weißen Gesichtstuch bedeckt sind, erkennt Eskandar, dass sie zu ihm und Hodjat herübersehen.
    Das ist verboten, sagt Eskandar wieder.
    Das wirst du verstehen, wenn du älter bist. Der Reiter grinst und sagt, das Grünzeug ist ein eindeutiges Zeichen dafür, dass ihre Väter die Absicht haben, ihre Töchter im gerade begonnenen Jahr zu verheiraten. Siehst du?, sagt Hodjat. Die jungen Saifeh machen Knoten in ihr gesprossenes Korn und beten zu Gott, dass er ihnen den ersehnten Mann schickt. Wer weiß, ruft Hodjat und springt auf, genau in dem Moment, als eines der Mädchen ihr Ssabsi auf das Wasser setzt. Vielleicht bin ich dieser Ersehnte. Hodjat rennt zum Fluss und dem Ssabsi, das auf dem Wasser auf und ab hüpft, hinterher. Er stolpert, fällt beinah in den Fluss, fängt sich und hastet weiter. Das Ssabsi gerät in eine stärkere Strömung, und da stürzt Hodjat sich in die Fluten. Er taucht unter und wieder auf. Eskandar läuft seinem Freund hinterher; halb ist er begeistert, halb hat er Angst um ihn. Aber dann holt Hodjat das Ssabsi ein, fischt es aus dem Wasser und bringt es zum Ufer. Er ist triefnass, aber so glücklich, wie Eskandar es noch nie bei ihm gesehen hat. Hilf mir die Stiefel auszuziehen, sagt er lachend.
    Eskandar leert das Wasser aus den Schuhen und hilft Hodjat, sie wieder anzuziehen.
    Komm, sagt er, begleite mich, dann wird es mir leichter fallen.
    Was wird dir leichter fallen?, fragt Eskandar.
    Hast du noch immer nicht begriffen?, fragt Hodjat. Ich werde zum Vater des Mädchens gehen und ihn um die Hand seiner Tochter bitten.
    Woher weißt du, ob sie dir gefällt? Sie ist von Kopf bis Fuß verschleiert.
    Sieh genau hin, sagt Hodjat. Und sag mir, was du siehst.
    Sie hat einen aufrechten und kräftigen Gang, antwortet Eskandar, und trotz ihres Schleiers kann ich sehen, dass ihre Arme und Beine lang und beweglicher sind als die der anderen Saifeh. Sie hält ihren Kopf hoch, irgendwie stolz, und sie ist nicht so verspielt wie die anderen. Und sie sieht dich andauernd an, sagt Eskandar grinsend und hebt kurz seine Hand, worauf das Mädchen unter ihrem Schleier ebenfalls die Hand bewegt und seinen Gruß erwidert.
    Was denkst du?, fragt Hodjat.
    Nimm sie, antwortet Eskandar. Sie ist die Beste.

Frühjahr 1909, Anglo Persian Oil Company
     
    Das Mädchen heißt Zarrin, und ihr Vater ist glücklich, seine Toch ter einem anständigen, ehrenhaften und mutigen Mann wie diesem Reiter zur Frau zu geben, und das nicht nur, weil Hodjat den Großteil seines jüngst verdienten Solds für das Mädchen bezahlt. Eine gute Investition, wie sich herausstellt, denn als Zarrin nach der Hochzeit beim Mullah ihren Schleier lüftet und Hodjat ihr Gesicht sehen kann, stellt er fest, dass sie sogar noch hübscher ist, als er jemals zu träumen gewagt hätte.
    Wenn sie lächelt, ist es, als würde die Sonne aufgehen, und wenn sie mit ihren großen dunklen Augen und mit den langen, dichten Wimpern zu ihm aufblickt, kommt es Hodjat vor, als würden zwei Schmetterlinge auffliegen, sich auf sein Herz setzen und es küssen.
    Eskandar mag Zarrin sofort, und er freut sich, dass sie mit derselben Karawane wie er in den Süden