Eskandar: Roman (German Edition)
weiteres Stück Holz in die Flamme, schenkt frischen Tee in die Gläser und reicht sie den Män nern.
Junge, ich hoffe, du hast gut zugehört, sagt Agha-Mobasher, und hast einiges von dem begriffen, was heute hier gesagt wurde.
Ja, verehrter Agha, das habe ich, erwidert Eskandar und hofft, dass der Verwalter ihm die Frage erspart, was genau er gelernt und verstanden hat.
Wenn die Skrupellosigkeit der Farangi und die Unwissenheit und das gleichzeitige Händeaufhalten unserer eigenen Landsleute schon für nichts anderes gut ist, dann vielleicht wenigstens dafür, dass es uns eine Lehre ist, sagt der Verwalter. Wie der Dichter Sa’di bereits gesagt hat, von wem hast du die Höflichkeit gelernt? Der Verwalter lächelt Eskandar zu und hält ihm sein leeres Glas hin.
Von den Unhöflichen, beendet Eskandar den Satz des Verwalters, den er täglich mehrmals hört, und schenkt frischen Tee nach.
Agha-Mobasher nickt anerkennend. Wir werden ein Auge auf unseren jungen Freund hier haben, sagt er, und dich mehr fördern und unterstützen, damit aus dir eines Tages ein nützliches Mitglied der Gesellschaft wird. Du bist klug und hast das Zeug dazu, einen richtigen Beruf zu erlernen. Es wird die Zeit kommen, dass nicht nur die Söhne der Reichen und Khane Bildung erhalten, in die Akademien und Kasernen gehen, Offiziere und Abgeordnete werden, sondern auch und erst recht die der einfachen Leute, sagt der Verwalter und richtet seinen geraden Rücken noch gerader auf.
Die Leiden des jungen Eskandar-Agha
Seit dem Ende des großen Krieges, den die Leute Weltkrieg nennen, rasiert Eskandar sich den Kopf nicht mehr wie ein Junge, sondern lässt sich wie ein richtiger Mann das Haar wachsen, bändigt es mit Öl und trägt wie die Männer im Basar einen hübschen hohen Hut aus schwarzem Filz, unter dem seine Locken gut zur Geltung kommen. Er befolgt den Rat seiner Herrin Mahrokh-Khanum und reibt sein Gesicht mit Olivenöl ein, damit seine, für die Menschen aus dem Süden des Iran typische dunkle Haut nicht rau und fahl wird. Außerdem sagt Mahrokh-Khanum ihm seit Neuestem bei jeder Gelegenheit, dass er das schönste Paar Augen besitzt, was sie je bei einem Mann gesehen hat. Bade sie in klarem Wasser oder, noch besser, in Kamillensud, sagt sie, damit sie gesund bleiben und ihren hübschen Glanz nicht verlieren.
Wie Sie wünschen, Saheb, antwortet Eskandar und verliert sich seinerseits in den Augen seiner Herrin, die ihn schmachtend ansehen und verzaubern.
Du siehst mich an wie ein Tiger, sagt sie und klingt wie eine ihrer Katzen mit dem langen Fell, die sich den ganzen Tag auf der Fensterbank in der Sonne räkeln und warten, dass jemand kommt und sie streichelt und sie sich anschmiegen und schnurren können. Mahrokh-Khanum neigt den Kopf zur Seite, mustert Eskandar von Kopf bis Fuß und schnurrt, mit diesem Blick ist keine Frau sicher vor dir, du verdrehst jeder den Kopf.
Eskandar weiß nicht mehr, wo er hinsehen oder was er tun soll. Kalt und heiß läuft es ihm über den Rücken und lässt seinen Körper erschauern. Seine Verwirrung ist noch größer als damals, an jenem Morgen, als er mit der Khanum heimlich in der Stadt unterwegs gewesen ist und sie ihn zum Abschied auf die Stirn geküsst hat. Zuerst glaubt er, Frau-Mahrokh sagt diese Dinge, weil sie ihn um den Finger wickeln will, damit er noch einmal heimlich mit ihr ausreitet oder weil er etwas aus dem Basar mitbringen soll, was in schwierigen Zeiten wie diesen nicht leicht zu bekommen ist. Als sie aber nicht aufhört, ihn anzusehen, nichts sagt, nur lächelt, ihre Brüste sich beim Atmen auf diese seltsame Weise heben und senken und Eskandar seinen Blick nicht von ihr losreißen kann, dämmert es ihm allmählich, was sie von ihm möchte. Die Khanum will nicht ausreiten und auch nichts aus dem Basar. Sie will mich.
Weißt du?, sagt Mahrokh-Khanum, befeuchtet ihre Lippen mit der Zunge.
Nein, Saheb. Mit Verlaub. Ich weiß nichts.
Das glaube ich nicht, sagt sie. Ich glaube, du weißt sogar sehr viel. Aber natürlich kannst du nicht sagen, was du denkst und weißt; und was du fühlst und welche Wünsche du hast, kannst du erst recht nicht sagen.
Eskandar will Anstand beweisen und auf den Boden sehen, kann aber nicht anders, als seine hübsche Herrin immer weiter anzustarren.
Verrate mir, sagt die Khanum, mit deinen neunzehn oder zwanzig Jahren bist du längst in einem Alter, in dem andere Männer Frauen und Kinder haben. Wie steht es mit dir? Gibt es ein Mädchen, das du
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