Eskandar: Roman (German Edition)
jene, die vom Glauben abfallen.
Ach, hören Sie doch auf. Der Verwalter sieht den Mullah böse an. Welche Sünde kann ein kleines Kind wie dieses Mädchen schon begangen haben? Welche Sünden haben die Bettler, Händler und Geschäftsleute aus dem Basar begangen?
Das weiß nur Gott, antwortet der Mullah und nickt zufrieden mit sich und der Art, wie er Gott verteidigt.
Ersparen Sie mir Ihre Floskeln, schimpft Agha-Mobasher. Was hat den Gott mit alledem zu tun? Die Misere in unserem Land ist vor allem unserem König anzulasten, weil er den Farangi erlaubt, das Erdöl zu stehlen. Als Zweites sind die Farangi schuld, weil sie diese Gelegenheit schamlos ausnutzen.
Und als Drittes sind wir, das iranische Volk, schuld, weil wir alles das geschehen lassen, sagt der Reiter. Manche unserer Landsleute, Beamte und sogar einige Abgeordnete, sind käuflich. Ohne uns Iraner, die wir den Raub an unserem Land zulassen, könnten Engelissi, Russi, Almani oder sonstige Farangi uns und unserem Land nicht den geringsten Schaden zufügen.
Aber was können wir tun?, fragt Eskandar. Welche Macht hat das Volk? Ehrlich gesagt, einer wie ich ist froh, wenn er Arbeit, genügend zu Essen und den Schutz eines Hauses genießt.
Das nenne ich Dankbarkeit, sagt Agha-Mobasher und nickt Eskandar anerkennend zu.
Wenn wir wenigstens eine vernünftige Armee hätten, schimpft Hodjat. Wir haben Stammesführer, Reiter, Krieger, Kämpfer, alle möglichen Waffen, aber keine Hierarchie, keine Disziplin, kein gemeinsames Ziel. Wir besitzen keine Führung, und unser König ist jung und unfähig. Es ist gut, dass unser Parlament endlich ein Gesetz zur Einführung der Wehrpflicht verabschiedet hat. Es ist höchste Zeit, dass auch in unserem Land die jungen Männer in einer zentralen Armee nach einem Prinzip ausgebildet werden und wie die Soldaten der Farangi die gleichen Waffen und die gleiche Uniform tragen. Sie werden in Kasernen leben und dem Befehl eines einzigen Vorgesetzten unterstellt. Junge Männer wie unser Agha-Eskandar werden eingezogen und zu guten Soldaten, die ihr Vaterland verteidigen, ausgebildet.
Saheb, ich habe mitbekommen, wie der verehrte Khan gesagt hat, er wird seine beiden ältesten Söhne in diese Armee schicken, sagt Eskandar. Sie sollen Offiziere der königlichen Garde werden.
Nicht alles, was das Parlament beschließt, ist gut, sagt der Mullah in der Art, die den alten Verwalter zur Weißglut treibt. Angeblich haben die Abgeordneten ein Gesetz zur Einrichtung eines Finanzministeriums verabschiedet.
Und was ist schlimm daran?, fragt der Verwalter. Jedes moderne Land hat ein solches Ministerium.
Was daran schlimm sein soll? Ja, haben Sie es denn nicht gehört? Jeder, der Land besitzt, muss entsprechend der Größe seines Besitzes fortan eine bestimmte Summe an den König zahlen, antwortet der Mullah und ist froh, dass er sich so gut auskennt.
Sie reden nichts als Unsinn, schimpft Agha-Mobasher. Die Abgabe, von der Sie sprechen, nennt sich Steuer. Und sie wird nicht an den König, sondern an die Regierung, das heißt an den Staat, letztendlich also an das Volk gezahlt. Also sind Sie und ich und jeder andere Bürger dieses Landes Nutznießer dieser Abgabe; denn sie ist dafür da, das Land aufzubauen und damit für das Wohl des Volkes zu sorgen. Ihr Wohl und mein Wohl, verstehen Sie? Agha-Mobasher mustert den Mullah wie einen hoffnungslosen Fall, dann sagt er etwas, was Eskandar noch nie von jemandem gehört hat. Der König ist doch nicht der Besitzer des Landes. Das Land gehört Gott, und es gehört dem Volk, aber nicht einem einzigen Menschen, nur weil der eine Krone auf dem Kopf hat.
Der Verwalter ist so wütend, dass nicht nur der Mullah, sondern auch Eskandar und der Reiter verstummen.
Es ist wichtig, dass Sie in Angelegenheiten, die mit unserem Land, den Gesetzen und unserer Regierung zu tun haben, besser auskennen, mahnt der Verwalter. Schließlich habe ich Sie nicht nur als Vorbeter, sondern auch als Lehrer eingestellt. Und schließlich sind Sie verantwortlich dafür, die Söhne dieses Hauses auf ihr zukünftiges Leben vorzubereiten. Und hören Sie endlich auf, sich wie ein Märtyrer aufzuführen. Sehen Sie sich an, sagt der Verwalter, was ist das für eine Art? Sitzen Sie aufrecht, mein Herr. Ein Mann hat aufrecht zu sitzen, zu stehen und zu gehen.
Nicht nur der Mullah, auch Eskandar und der Reiter richten sich auf.
In etwas freundlicherem Ton fragt Agha-Mobasher, ob der Samowar noch brennt. Eskandar schiebt sofort ein
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