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Esquivel, Laura - Bittersuesse Schokolade

Esquivel, Laura - Bittersuesse Schokolade

Titel: Esquivel, Laura - Bittersuesse Schokolade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Esquivel
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augenblicklich herzlich wenig. Bei solchen Gelegenheiten hatte sie stets nur zugesehen. Die Tiere wußten im übrigen sehr gut, was zu tun war, sie hingegen hatte nicht die leiseste Ahnung. Zwar lagen Bettücher und eine sterilisierte Schere griffbereit, und es war heißes Wasser zur Hand. Sie wußte auch, daß die Nabelschnur durchtrennt werden mußte, doch weder wie noch wann, geschweige denn in welcher Höhe. Natürlich hatte sie davon gehört, daß an Neugeborenen einige Handgriffe vorzunehmen sind, sobald sie auf die Welt kommen, aber welche genau, das war ihr ziemlich schleierhaft. Das einzige, woran sie nicht zweifelte, war, daß zunächst die Geburt erfolgen mußte, aber wann, das stand noch in den Sternen! Ein ums andere Mal beugte sich Tita vor, um zwischen den Beinen ihrer Schwester nachzuforschen, doch nichts tat sich. Da war nur ein finsterer Tunnel, ganz still und unendlich tief. Als Tita so vor Rosaura kniete, verfiel sie aus lauter Verzweiflung auf den Gedanken, Nacha um eine rettende Erleuchtung in dieser schweren Stunde anzuflehen.
    Wenn Nacha in der Lage war, ihr Kochrezepte einzuflüstern, würde sie vielleicht auch in einer solchen Not etwas ausrichten können! Auf jeden Fall mußte Rosaura wohl jemand aus dem Jenseits zu Hilfe kommen, denn im Diesseits stand ja niemand zur Verfügung.
    Mit der Zeit hatte sie das Gefühl dafür verloren, wie lange sie schon so auf den Knien liegend ihre Stoßgebete zum Himmel schickte, als sie mit einem Mal aufblickte und dabei bemerkte, daß der dunkle Tunnel sich plötzlich in einen wirbelnden roten Strom verwandelt hatte, in einen sprühenden Vulkan, der aufriß wie ein Papierfetzen. Die Fleischmassen ihrer Schwester öffneten sich, um das Leben hindurchzulassen. Dieses Geräusch, dieser Anblick in dem Moment, als ihr Neffe triumphierend seinen Kopf hervorreckte, um zu zeigen, daß er den Kampf um das Leben gewonnen hatte, würden Tita auf ewig im Gedächtnis haften bleiben. Man konnte diesen Schädel, nachdem er so lange Zeit stetem Druck ausgesetzt war, wahrlich nicht als hübsch bezeichnen, glich er doch weit eher einem Rohrzuckerkegel. In Titas Augen freilich war er der niedlichste Kopf, den sie je zu Gesicht bekommen hatte.
    Das Geschrei des Neugeborenen nistete sich augenblicklich in Titas ausgebranntem Herzen ein und erfüllte es bis in den letzten Winkel. Nun erkannte sie, daß sie wieder liebte: das Leben, dieses Kind, Pedro, sogar die ihr so lange verhaßte Schwester. Sie nahm das kleine Wesen auf, reichte es Rosaura, und gemeinsam hielten sie es eine ganze Weile lang vor Freude schluchzend in ihren Armen. Später wußte Tita dank der Instruktionen, die Nacha ihr eingab, genau, welche Handgriffe zu tun waren: ihm die Nabelschnur im rechten Augenblick und an der richtigen Stelle durchschneiden, den Leib mit zartem Mandelöl abreiben, den Nabel umwickeln und den Kleinen ankleiden. Wie selbstverständlich zog Tita ihm zunächst das Leibchen und das Hemdchen über, band ihm die Nabelbinde um, legte ihm die Mull- und die Moltonwindel an, zog ihm das Strampelhöschen über die Beinchen, kleidete ihn in sein Häkeljäckchen und steckte seine winzigen Füßchen in die Söckchen und Schuhchen. Zum Schluß kreuzte sie ihm noch die Händchen über der Brust und hüllte ihn so in eine Plüschdecke, um zu verhindern, daß er sich das Gesichtchen aufkratzte. Als Mama Elena und Chencha am Abend endlich in Begleitung der Lobos heimkehrten, staunten sie nicht schlecht über die professionelle Arbeit, die Tita geleistet hatte. Wie eine eingerollte Tortilla lag Robertito friedlich da und schlief.
    Erst am nächsten Tag, als man ihn endlich laufen ließ, traf Pedro in Begleitung von Doktor Brown ein. Ihre Ankunft beruhigte alle Gemüter.
    Die Frauen hatten um Pedros Leben gebangt. Nun blieb nur noch die Sorge um Rosauras Gesundheitszustand, denn die Wöchnerin war immer noch sehr schwach und merkwürdig aufgedunsen. Doktor Brown untersuchte sie daher eingehender. Erst jetzt wurde allen klar, wie riskant die Geburt gewesen war. Der Arzt meinte, Rosaura habe einen lebensgefährlichen Anfall von Eklampsie erlitten. Er zeigte sich höchst erstaunt, daß Tita unter derart ungünstigen Umständen mit solcher Entschlossenheit Geburtshilfe geleistet hatte. Aber wer weiß, was ihn mehr verwunderte: daß Tita allein und gänzlich unerfahren zugepackt hatte, oder die Entdeckung, daß Tita, das Mädchen mit den hervorstehenden Zähnen aus seiner Erinnerung, zu einer bildhübschen

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